Die Toechter der Familie Faraday
das mit den Juli-Weihnachtsfeiern nicht die entzückende Idee einer liebenden Mutter war, sondern Teil eines heimtückischen Plans, den Tessa ausgebrütet hatte.« Diese Erkenntnis hatte Maggie sehr zugesetzt. »Was soll ich jetzt tun, Gabriel?« Es war nicht fair, ihm diese Frage zu stellen, doch Maggie war vollkommen ratlos.
Er schwieg. Nach einer Weile sagte er: »Meiner Meinung nach hast du drei Möglichkeiten. Du kannst sie in ihrem Büro oder Haus aufsuchen. Du kannst sie anrufen. Oder du tust nichts, und wir fahren gleich wieder nach Donegal. Du sagst Leo, was du gelesen hast, und überlässt es ihm, daraus Konsequenzen zu ziehen.«
Das konnte sie nicht. Noch nicht. Der Weg war zu weit gewesen. Nicht nur von Donegal, auch von New York. »Wenn ich sie anrufe, spricht sie vielleicht nicht mit mir. Es ist immer einfacher, den Hörer aufzulegen, als jemandem ein Nein ins Gesicht zu sagen.«
»Möchtest du zu ihrem Büro fahren?«
»Vielleicht ist sie ja nicht einmal in Dublin. Wir hätten doch vorher anrufen sollen. Sie könnte überall sein.«
»Ja, oder ganz einfach zu Hause.«
»Warum habe ich mich von Leo hierzu überreden lassen?«
»Das hast du nicht. Du hast es ihm angeboten.«
Er hatte recht.
»Ich hab auf die Karte geschaut, Maggie. Wir sind nicht weit von Phibsboro entfernt. Höchstens zwei Kilometer.«
»So nahe?« Maggie malte sich die Szene aus: das Haus von der Fotografie, Sadie in der Küche, beim Teekochen oder im Garten, oder vor dem Fernseher. Nicht ahnend, dass ihre Nichte in der Nähe war, dass ihre gesamte Familie im Land war. Die Wahl lag bei Maggie. Sie konnte in Sadies Leben eindringen und Gott weiß was anrichten, oder sich entscheiden, nichts zu tun und alles so zu belassen, wie es seit zwanzig Jahren war. »Vielleicht ist sie es ja gar nicht«, sagte sie.
»Möchtest du Gewissheit haben?«
Sie dachte nach. Sie konnte jetzt nicht aufgeben. »Fahren wir zu ihrem Haus.«
Sadie sah auf die Uhr. Larry hatte morgens angerufen und gesagt, dass er hoffentlich gegen fünf Uhr zu Hause sein würde. Sie wollte ihn dort erwarten. Sie hatten sich fast drei Wochen lang nicht gesehen. Das war zu lang. Sie waren noch niemals so lange voneinander getrennt gewesen. Sadie nahm ihre Tasche, wickelte sich den Seidenschal um den Hals und ging in das Büro ihrer Assistentin. »Ich mache heute früher Schluss, Anne. Larry ist auf dem Heimweg, und ich will vorher noch etwas zu Hause vorbereiten.«
»Ach, sind Sie romantisch, Sally O’Toole.« Anne lächelte. »Grüßen Sie Larry von mir. Ich seh Sie beide dann morgen.«
Normalerweise fuhr Sadie mit dem Bus nach Hause, aber das Wetter war so schön, dass sie lieber zu Fuß gehen wollte. Es würde nur eine halbe Stunde dauern. Sie würde immer noch vor Larry zu Hause ankommen.
Leo war allein im Wohnzimmer. Er hatte nicht an den Strand gehen wollen. Er war kein Freund vom Baden in der eiskalten See. Außerdem war ihm über Nacht eine Idee gekommen, deren Anwendbarkeit er ein wenig erkunden wollte. Er hatte Gabriel beim Filmen beobachtet. Ihm war aufgefallen, dass Gabriel jedes Mal die gesamte Ausrüstung bewegen musste, wenn er etwas aus einem anderen Winkel aufnehmen wollte. Das ging doch sicherlich effizienter! Was, wenn die Kamera auf dem Stativ bewegt werden könnte, und zwar nicht nur nach rechts oder links, sondern auch auf und ab, auf einer Art ausziehbarem Schwenkarm? Dann müsste der Kameramann nicht mehr das gesamte Stativ bewegen, sondern nur die Kamera selbst. Das müsste sich eigentlich mit einem recht simplen Mechanismus bewerkstelligen lassen. Der Trick an der Sache war die Befestigung der Kamera. Die Kabel müssten aufrollbar sein, so dass sie der Kamera bei ihren Bewegungen folgen konnten.
Das Equipment stand noch vom Vortag da, die Kabel ordentlich aufgerollt, wie in einem richtigen Fernsehstudio. Leo ging um die Kamera herum, berührte vorsichtig einen Hebel hier, einen Knopf da. Kaum vorstellbar, dass so ein kleines Gerät so viele Stunden Filmmaterial produzieren konnte. Gabriel hatte ihm eine kurze Einführung in die Funktionsweise der Kamera gegeben, ihm den Sucher gezeigt, die verschiedenen Knöpfe. Die Technik hatte sich rapide verändert, sogar noch zu Gabriels Zeiten als Kameramann. Ein technisches Wunderwerk.
Leo setzte seine Brille auf und löste vorsichtig die Schrauben, mit denen die Kamera auf dem Stativ fixiert war. Der Hebel saß sehr fest, und Leo fingerte mühsam herum. Dabei neigte sich das Stativ bedrohlich.
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