Die Toechter der Familie Faraday
ist sie das?«
Eine Frau kam mit energischem Schritt die Straße entlang. Sie musste Mitte vierzig sein und hatte dunkelbraunes Haar. Sie trug dunkelblaue Hosen, eine helle Bluse und einen farbigen Schal.
Sie war noch zu weit entfernt, aber irgendetwas an der Frau kam Maggie vertraut vor. Dann wusste sie es. Es war der Gang. Sie ging mit raschen, flotten Schritten wie ihre Tanten. Wie sie selbst.
Sie erstarrte. »Ich kann nicht mit ihr reden.«
»Maggie, natürlich, sie kommt doch direkt auf uns zu.«
»Und was soll ich sagen? ›Hallo, bist du Sadie? Ich bin Maggie, die Nichte, die du vor zwanzig Jahren zum letzten Mal gesehen hast?‹ Das wäre nicht fair. Ich kann sie doch nicht einfach so auf der Straße überfallen.«
Die Frau kam näher.
»Soll ich es tun?«, fragte Gabriel. »Das Eis brechen, wenn du so willst? Ich kann sie geradewegs fragen.«
»Würdest du?«
»Natürlich. Aber ist das auch richtig?«
»Bitte, Gabriel. Schnell. Bevor sie ins Haus geht.«
Maggies Herz raste. Gabriel stieg aus dem Auto und überquerte die Straße. Er rief mit breitem amerikanischem Akzent: »Verzeihen Sie bitte.«
Die Frau drehte sich mit einem höflichen Lächeln um. Sie glaubte bestimmt, ein Tourist wollte sie nach dem Weg fragen. Maggie sah reglos zu, wie Gabriel etwas sagte. Die Frau fasste sich an den Hals und schüttelte weder den Kopf, noch nickte sie. Sie hörte nur zu und schaute Gabriel an. Dann drehten sich beide um und sahen zum Auto. Maggie wusste nicht, was sie tun sollte, ob sie winken oder ihr zunicken sollte. Sie tat nichts. Sollte sie zu ihnen gehen? Hatte er sie schon gefragt?
Die Frau fuhr sich durchs Haar. Ihre Hand wanderte wieder an den Schal. Sie sah auf die Uhr. Viele Gesten, aber noch immer kein Nicken. Gabriel berührte sie flüchtig am Arm, dann kam er zum Wagen zurück. Die Frau öffnete ihr Gartentor und ging, ohne sich umzudrehen, ins Haus. Gabriels Miene war reglos. Er setzte sich ins Auto und schloss die Wagentür.
»Sie ist es, Maggie. Es ist Sadie.«
Ihr Herz machte einen Satz. »Was hast du ihr gesagt?«
»Ich habe sie direkt gefragt. Ich habe ihr gesagt, dass ich ein Freund der Faradays aus Tasmanien wäre, dass ich sie nicht bedrängen wollte, aber gerne wissen würde, ob sie Sadie Faraday wäre?«
»Und dann hat sie Ja gesagt? Einfach so?«
»Zuerst nicht. Erst hat sie es abgestritten, gemeint, ich müsste sie wohl mit jemandem verwechseln, ihr Name wäre Sally O’Toole. Und da habe ich gesagt, das wäre mir bekannt, aber ihre Familie glaubte, sie hätte vielleicht früher Sadie Faraday geheißen, und ihre Nichte wäre da und würde furchtbar gern mit ihr sprechen. Und daraufhin hat sie gesagt: ›Maggie? Maggie ist hier?‹ Dabei hatte ich deinen Namen noch gar nicht erwähnt.«
»Wird sie mit mir sprechen? Will sie? Jetzt?«
Er nickte. »Sie hat gesagt, dass sie erst noch ein wenig Zeit braucht.«
»Ist ihre Tochter da? Ihr Mann?«
»Sie hat dazu nichts gesagt. Sie war ziemlich erschüttert, Maggie.«
»Wie klingt sie denn?«
»Wie eine Australierin mit irischem Akzent. Eigentlich klingt sie wie Juliet. Sie hat die gleiche Stimme.«
»Sieht sie denn auch wie die anderen aus?«
»Maggie, in wenigen Minuten wirst du es doch selbst sehen«, sagte er sehr sanft.
Maggies Hände zitterten. Sie klappte den Spiegel herunter, sah sich prüfend an und glättete ihr Haar. »Sehe ich ordentlich aus?«
»Du siehst toll aus. Wie immer.«
»Wünsch mir Glück.«
»Du brauchst kein Glück. Sie ist doch deine Tante.«
Maggie öffnete die Wagentür und ging auf das Haus zu. Als sie am Tor war, wurde die Haustür geöffnet. Die Frau stand dort, ein Handy in der Hand. Sie sah aufgewühlt aus.
Maggie blieb stehen. »Sadie?«
»Maggie, es tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht mit dir sprechen.«
In dem Moment bog ein grüner Lieferwagen um die Ecke. Auf den Türen stand in weißen Lettern »O’Toole Reinigungsservice«.
»Das ist mein Mann. Er hat gerade angerufen. Er ist früher zurück als erwartet. Er weiß nichts von dir. Maggie, bitte, sag nichts. Geh so schnell wie möglich.«
»Aber Sadie …«
»Nenn mich bitte nicht so. Ich heiße jetzt Sally.«
»Aber ich muss mit dir sprechen. Leo …«
»Ist Leo gestorben?«
Maggie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es ist nur …«
Der Lieferwagen parkte fünf Häuser entfernt.
»Sadie – Sally, bitte. Ich muss mit dir sprechen.«
Sadie zögerte und spähte ängstlich auf die Straße. »Wo übernachtest
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