Die Toechter der Familie Faraday
funkelt. Deshalb habe ich ja auch fünf von eurer Sorte bekommen«, sagte sie, als sie sich in den unbequemen Stühlen niederließen. »Sagt mal, was haltet ihr davon, wollen wir nicht Weihnachten zusätzlich im Juli feiern? Und im Dezember?«
»Zweimal Weihnachten?«, fragte Clementine. »Zweimal Geschenke, Weihnachtsbaum und alles?«
»Genau. Wir könnten ganz normal Weihnachten im Sommer feiern und dann unser ganz besonderes, eigenes Weihnachten im Winter, so als ob wir noch in England leben würden.« Tessa zeigte ihnen einen Artikel über englische Auswanderer in Australien, die Weihnachten im Juli feierten. Er stand in der britischen Ausgabe der Woman’s Own , die Tessa abonniert hatte. Die Hefte brauchten drei Monate mit der Post bis Tasmanien und hinkten mit allem immer eine Saison hinterher.
»Lasst uns dieses Jahr anfangen. Was meinst du, Leo? Kannst du uns einen Baum besorgen? Natürlich. Du kannst uns tausend Bäume besorgen. Clementine, würdest du dich um die Dekoration kümmern? Und hilfst du mir bei den Puddings, Juliet?«
Leo sagte, das klänge großartig. Das sagte er zu all ihren Vorschlägen.
Es war nichts Ungewöhnliches an der Art und Weise, wie sie sich dann eine Stunde später von ihrer Mutter verabschiedeten, auch später nicht an dem kleinen Snack aus heißer Schokolade und Keksen, als sie wieder zu Hause waren. Es war nichts Ungewöhnliches an der Art und Weise, wie Juliet Clementines Schulsachen für den nächsten Morgen bereitlegte und Leo in seinen Schuppen ging, in Gedanken schon bei seiner neuesten Erfindung.
Es war 3:15 Uhr frühmorgens. Juliet hörte das Telefon. Sie setzte sich abrupt auf. Ihr Vater ging an den Apparat. »Nein«, sagte er, ein wenig zu laut. Immer und immer wieder. Juliet stand auf und ging in den Flur. Er hörte irgendjemandem zu, schüttelte den Kopf und wiederholte immer nur »Nein«. Juliets erster Gedanke war, dass seinem Bruder Bill, der noch in England lebte, etwas passiert war.
Er legte auf. In dem trüben Licht konnte sie sehen, dass seine Hand zitterte. Nicht nur seine Hand, er zitterte am ganzen Körper. Sein Gesichtsausdruck machte ihr Angst.
»Dad?«
»Es ist wegen Tessa.« Nicht »eurer Mutter«, was er sonst immer sagte.
»Was wollte sie denn? Was ist denn passiert?«
»Sie ist tot.«
»Nein.«
»Eine Schwester hat sie gefunden. Sie …«
»Nein, Dad.«
Das musste ein Albtraum sein. Sie hatte ihre Mutter doch abends noch gesehen. Mit ihr gelacht. Über ihr Weihnachtsfest im Juli gesprochen. Wie konnte sie tot sein?
Hinter ihr regte sich etwas. Sie drehte sich um. Miranda, gähnend. »Was ist denn los?«
»Juliet, weck die anderen auf.«
Sie fuhren alle ins Krankenhaus. Es kam nicht in Frage, dass irgendjemand zu Hause blieb. Clementine war noch im Schlafanzug, Juliet trug sie. Ein Arzt erwartete sie. Ja, Tessa hätte sich von ihrer Hysterektomie gut erholt. Jedoch hätte ihr Herz plötzlich wegen einer nicht diagnostizierten Thrombose versagt. Der Arzt kondolierte ihnen hastig, dann spulte er seine Sätze ab. Niemand, so sagte er, hätte das voraussehen können. Wir haben getan, was in unserer Macht stand. Juliet fiel auf, dass er ständig auf die Uhr sah. Er wartete auf das Ende seiner Schicht.
Die Neuigkeit hatte sich noch vor dem Morgen verbreitet. Die Nachbarn kamen. Wisperten. Ein Skandal. Man sollte den Arzt verklagen. Das Krankenhaus verklagen. Sie war eine Woche dort und dann wurde eine Thrombose übersehen? Was für ein Krankenhaus war das denn? Ihr Vater schüttelte zu allem nur den Kopf. Der Gemeindepfarrer kam fast jeden Tag. Er sagte immer wieder: »Ja, es ist ein tragischer Fehler, aber ein Prozess macht sie auch nicht wieder lebendig.«
Ein weiterer Tag, weitere Besucher. Die Beerdigung. Nach Tagen voller Herbstsonne wurde das Wetter kalt und grau. Auf dem Berg der erste Schnee. Der Wind war eisig. Juliet stand neben ihrem Vater, drückte die weinende Clementine an sich, neben ihnen weinten Sadie, Eliza und Miranda, und dann mussten sie alle zusehen, wie der Sarg ihrer Mutter in die dunkle, feuchte Erde des Cornelian-Bay-Friedhofs hinabgelassen wurde.
Wenn Juliet an die ersten Tage und Wochen nach dem Tod ihrer Mutter dachte, war es, als blickte sie durch ein zugefrorenes Fenster. Alles war verschwommen, konturlos, undeutlich. Sie hatte stundenlang geweint, jeden Tag. Sie alle. Aus den Tränen war Wut geworden, und aus der Wut noch mehr Tränen. Sie blieben beieinander, rückten zusammen, versuchten, sich
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