Die Toechter der Kaelte
Bild der blonden kleinen Jungen, die Hand in Hand mit ihrem Vater spazierengingen, vor ihnen auftauchte.
Deren Mutter aber vergoß keine Tränen. Als das Begräbnis vorüber war, fuhr sie in ihr zeitweiliges Zuhause und packte ein paar der Habseligkeiten, die man ihr geschenkt hatte. Wohltätigkeit. Daß sie hatte Almosen annehmen müssen, bereitete ihr ein solches Unbehagen, daß die Haut brannte wie nach einem Schlag. Doch von nun an würde sie das nie mehr tun müssen.
Jetzt, als sie auf dem Oberdeck des Schiffes stand, konnte niemand ahnen, daß sie bis vor kurzem noch ein Leben in Armut geführt hatte. Neue Kleider waren rasch beschafft, und ihre Gepäckstücke waren die elegantesten, die sich hatten finden lassen. Genüßlich strich sie mit der Hand über den weichen Kleiderstoff. Was für ein Unterschied zu den abgewetzten, ausgeblichenen Plünnen, die vier Jahre lang ihr Los gewesen waren.
Das einzige, was von ihrem alten Leben noch übrig war, befand sich in einer blauen Holzschachtel, die sorgfältig zuunterst im Gepäck verstaut lag. Nicht die Schachtel an sich, sondern der Inhalt war das Wichtige. Sie hatte sich am Abend hinausgeschlichen und die Schachtel gefüllt. Das sollte sie immer daran erinnern, nie wieder zuzulassen, daß dem Leben, so wie sie es verdiente, etwas im Wege stand. Sie hatte den Fehler begangen, sich auf einen Mann zu verlassen, und das hatte sie vier Jahre ihres Lebens gekostet. Nie wieder würde sie es einem Mann gestatten, sie so im Stich zu lassen, wie es ihr Vater getan hatte. Und sie würde dafür sorgen, daß er teuer dafür bezahlen mußte. Einsamkeit war der höchste Preis, aber sie würde es auch erreichen, daß das Geld in ihre Richtung floß. Das hatte sie verdient. Und sie wußte genau, welche Hebel sie bedienen mußte, um sein schlechtes Gewissen wachzuhalten. Männer waren so leicht zu manipulieren.
Ein Räuspem weckte sie so abrupt aus ihren Gedanken, daß sie zusammenfuhr.
»Oh, Entschuldigung, ich hoffe, ich habe gnädige Frau nicht erschreckt? «
Ein eleganter Herr lächelte ihr verbindlich zu und streckte ihr die Hand hin, um sich vorzustellen.
Agnes musterte ihn rasch und routiniert, bevor sie sein Lächeln beantwortete und ihre behandschuhte Hand in die Seine legte. Kostspieliger, maßgeschneiderter Anzug und Hände, die niemals gröbere Arbeit gesehen hatten. Schätzungsweise um die Dreißig und von ansprechendem, ja, sogar richtig nettem Äußeren. Kein Ring am Finger. Diese Überfahrt konnte vielleicht sehr viel angenehmer werden, als sie erwartet hatte.
»Agnes, Agnes Stjernkvist. Und Fräulein, nicht Frau.«
Dan war zu Besuch gekommen. Obwohl sie ein paarmal miteinander telefoniert hatten, war er noch nicht bei ihnen daheim gewesen, um Maja anzuschauen, doch jetzt füllte seine massige Gestalt den Flur, und er nahm Erica routiniert das Baby aus dem Arm.
»Hallooo, mein Mädelchen. Was haben wir denn hier für eine kleine Schönheit«, brabbelte er und hob sie hoch zur Decke. Erica mußte sich zusammennehmen, um ihm die Tochter nicht wieder zu entreißen, aber Maja sah nicht aus, als mißfiele ihr die Situation irgendwie. Und wenn man bedachte, daß Dan drei Töchter hatte, so wußte er ja wohl, was er tat.
»Und wie geht’s der kleinen Mama«, sagte er und umarmte sie mit seinen Bärentatzen. Einmal, vor langer Zeit, waren sie zusammengewesen, aber jetzt waren sie seit vielen Jahren gute Freunde. Ihre Freundschaft hatte zwar vor zwei Wintern einen ordentlichen Knacks erlitten, als sie beide unter unglücklichen Umständen in einen Mordfall verwickelt waren, aber der Lauf der Zeit brachte das meiste in Ordnung. Seit er von seiner Frau Pernilla geschieden war, hatten sie jedoch etwas weniger Kontakt, da Dan das Singledasein mit allem, was dazugehörte, genoß, während Erica genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hatte. Dan hatte eine Reihe merkwürdiger Freundinnen auf dem Konto, aber im Augenblick war er frei und ledig, und Erica fand, er wirkte so zufrieden wie lange nicht. Die Scheidung hatte ihm schwer zu schaffen gemacht, und es traf ihn hart, daß er mit seinen Töchtern nur jede zweite Woche Zusammensein konnte. Allmählich aber hatte er sich wohl daran gewöhnt und konnte wieder froher weiterleben.
»Ich wollte mal hören, ob du mit mir Spazierengehen willst?« sagte Erica. »Maja wird langsam müde, und wenn wir eine Runde gehen, dann schläft sie wohl im Wagen ein.«
»Aber nur kurz«, brummte Dan. »Draußen ist es richtig
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