Die Toechter der Kaelte
beipflichten, daß die Sache gravierend ist, aber dennoch möchte ich nicht, daß wir uns schon jetzt daran festbeißen. Einerseits wissen wir nicht, wer von beiden, ob Vater oder Sohn, die Jacke dort hingelegt hat, es kann schließlich ebensogut Kaj gewesen sein, der sie verstecken wollte. Andererseits gibt es auch sonst noch zu viele Ungereimtheiten - und da meine ich zum Beispiel Niclas’ Versuch, sich ein Alibi zu beschaffen -, als daß wir sie völlig außer acht lassen könnten. Wir werden deshalb alles«, er betonte das letzte Wort, »was ich hier an Punkten aufgezeichnet habe, weiterverfolgen. Fragen dazu?«
Mellberg meldete sich zu Wort. »Sieht bestens aus, Hedström. Gute Arbeit. Und natürlich, geh diesen anderen Sachen, die du da aufgeschrieben hast, ebenfalls nach«, er deutete schlaff auf den Block, »aber ich bin geneigt, Gösta zuzustimmen. Dieser Morgan scheint ja nicht ganz richtig im Kopf zu sein, und ich an deiner Stelle«, er legte sich theatralisch die Hand auf die Brust, »würde diesen Typen jetzt mit Tempo in die Mangel nehmen. Aber natürlich bist du der Verantwortliche bei dieser Ermittlung, also liegt die Entscheidung bei dir«, Schloß Mellberg, jedoch in einem Ton, der allen klarmachte, seiner Meinung nach täte Patrik am besten daran, seinem Rat zu folgen.
Patrik gab keine Antwort, was Mellberg so auslegte, als sei seine Botschaft angekommen. Er nickte zufrieden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Fall geklärt war.
Mit finsterer Miene ging Patrik in sein Zimmer und begann sich an die Aufgaben des Tages zu machen. Der verdammte Alte sollte glauben, was er wollte, er jedoch hatte nicht die Absicht, nach seiner Pfeife zu tanzen. Zwar hatte die Information vom Fund der Jacke in Morgans Häuschen auch ihn verlockt, gewisse Schlüsse zu ziehen, aber irgend etwas, ob es nun Instinkt, Erfahrung und nur reiner Argwohn war, sagte ihm, daß nicht alles so war, wie es aussah.
Fjällbacka 1928
Der schwedischen Küste den Rücken zugekehrt, Schloß sie die Augen und fühlte den »Wind auf den Lidern. So fühlte sich also Freiheit an.
Das Schiff nach Amerika hatte genau mit dem Glockenschlag von Göteborg abgelegt, und der Kai war voller Menschen gewesen, die mit Hoffnung, aber auch Sorge von ihren Angehörigen Abschied nahmen. Niemand wußte, ob man sich je wiedersah. Amerika lag so weit weg, so fern, daß die meisten, die dorthin fuhren, niemals wiederkehrten und nur durch Briefe von sich hören ließen.
Niemand aber hatte am Kai gestanden, um von Agnes Abschied zu nehmen. Genau wie sie es gewollt hatte. Sie ließ all das Alte hinter sich und fuhr in ein neues Leben. Mit dem Scheck ihres Waters in der Tasche und der schönen Kajüte in der Ersten Klasse hatte sie zum ersten Mal seit langem das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.
Einen Augenblick gingen die Gedanken zurück zu Anders und den Jungen. Die Kirche war beim Begräbnis voll bis auf den letzten Platz gewesen, und lautes Schluchzen war im traurigen Chor zur Decke aufgestiegen. Sie selbst hatte nicht geweint. Hinter dem Hutschleier hatten ihre Augen die drei Särge in der Apsis betrachtet. Ein großer und zwei kleine. Weiß, überdeckt mit Unmengen von Blumen und Kränzen. Den größten Kranz hatte ihr Vater gesandt. Sie hatte ihm verboten zu kommen.
Viel war es zwar nicht gewesen, was man in die Särge legen konnte. Das Feuer hatte mit derart zerstörerischer Hitze gebrannt, daß nichts übriggeblieben war. Deshalb enthielten die Särge nur ein paar Fragmente. Der Pfarrer hatte im Hinblick auf den Zustand der sterblichen Überreste lieber Urnen vorgeschlagen, aber Agnes hatte es so haben wollen. Drei Särge, die man in die Erde versenkte.
Ein paar von Anders’ Arbeitskameraden hatten den Stein zugehauen. Ein und denselben Stein für alle drei, die Namen fein säuberlich eingraviert.
Sie waren die einzigen Opfer des Brandes geblieben. Ansonsten war nur Hab und Gut zerstört, aber die Verwüstung war umfassend. Der ganze untere Teil von Fjällbacka., der dem Meer am nächsten gelegene Teil, war jetzt schwarz und verkohlt. Die Häuser waren verschwunden, und verbrannte Pfähle ragten aus dem Wasser, dort, wo sich früher Anlegebrücken befanden. Doch nur wenige hatten über den Verlust ihres Heims geklagt. Jedesmal, wenn sie der Drang überkam, das Verlorene zu beweinen, hatten sie an Agnes und ihr Schicksal gedacht. Wie ein Mann waren sie zum Begräbnis erschienen, und das Herz tat ihnen weh, wenn das
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