Die Toechter der Kaelte
hier warst«, sagte er und setzte Dan auf die Liste der Leute, denen er Dankbarkeit schuldig war.
»Ja, aber ich verstehe einfach nicht, wer auf die Idee kommen kann, so etwas zu tun? Und warum?«
Patrik saß neben Erica auf dem Sofa und hielt ihre Hand. Nach einem zögernden Blick auf sie sagte er: »Vermutlich steht es im Zusammenhang mit dem Mord an Sara.«
Erica fuhr zusammen. »Wie? Warum glaubst du das? Warum sollte …?«
Patrik zeigte auf Majas Strampler am Boden. »Das da sieht aus wie Asche.« Seine Stimme brach, und er mußte sich räuspern, um weiterreden zu können. »Sara hatte Asche in der Lunge, und es gab auch eine …«, er suchte nach dem richtigen Wort, »… Attacke auf ein anderes kleines Kind. Da fand sich dieselbe Asche.«
»Aber …?« Nichts, was Erica da hörte, klang vernünftig.
»Ja, ich weiß«, sagte Patrik müde und strich sich mit der Hand über die Augen. »Wir verstehen es auch nicht. Wir haben die Asche von der Kleidung des anderen Kindes zur Analyse geschickt, um zu sehen, ob sie dieselbe chemische Zusammensetzung wie bei Sara hat, aber noch haben wir kein Ergebnis. Ich würde jetzt gern auch Majas Sachen hinschicken.«
Erica nickte stumm. Die Panik hatte einem Schockzustand, der an Betäubung erinnerte, Platz gemacht. Patrik zog sie noch einmal fest an sich. »Ich rufe im Revier an und sage Bescheid, daß ich den Rest des Tages zu Hause bleibe. Ich muß nur dafür sorgen, daß Majas Sachen möglichst schnell zur Analyse kommen. Wir werden den, der das hier gemacht hat, erwischen«, sagte er grimmig, und das war ein Versprechen, das er Erica ebensosehr wie sich selbst gab. Seine Tochter war zwar unverletzt, aber die psychische Grausamkeit der Tat weckte in ihm das beunruhigende Gefühl, daß sie nach einem Menschen suchten, der in höchstem Maße gestört war.
»Kannst du bleiben, bis ich wieder zurück bin?« fragte er Dan, der nickte.
»Absolut. Ich bleibe so lange wie nötig.«
Patrik küßte Erica auf die Wange und streichelte Maja. Dann griff er Majas Strampler, zog die Jacke an und eilte los. Er wollte rasch wieder zu Hause sein.
Göteborg 1954
Die Tochter war unverbesserlich. Agnes seufzte im stillen. So viele Hoffnungen hatte sie in sie gesetzt, so viele Träume gehabt. Als kleines Kind war das Mädchen so reizend gewesen, und mit ihrem dunklen Haar konnte man sie mit Leichtigkeit für ihre Tochter halten. Agnes hatte beschlossen, sie Mary zu nennen. Einerseits sollte das jeden an ihre Jahre in den Staaten und den Status, den dieser Auslandsaufenthalt mit sich brachte, erinnern, andererseits war es ein schöner Name für ein bezauberndes Kind.
Aber nach ein paar Jahren war etwas geschehen. Das Mädchen war immer mehr in die Breite gegangen, und Fett hatte ihre hübschen Züge entstellt. Das ekelte Agnes. Schon bei der Vierjährigen waren die Schenkel schwabbelig, und die Wangen hingen herunter wie die eines Bernhardiners, aber nichts schien die Tochter vom Essen abbringen zu können. Und der Himmel wußte, daß Agnes es wirklich versucht hatte. Aber nichts funktionierte. Sie stellten die Lebensmittel weg und hängten ein Schloß vor die Schränke, aber einer Ratte gleich gelang es Mary stets, irgend etwas zu erschnüffeln, das sie sich in den Mund stopfen konnte. Jetzt, im Alter von zehn Jahren, war sie ein richtiger Fettkloß. Die Stunden im Keller schienen keine abschreckende Wirkung zu haben, statt dessen kam sie hungriger als je zuvor von dort zurück.
Agnes verstand es einfach nicht. Sie hatte immer ungeheuer viel Wert auf ihr Aussehen gelegt, nicht zuletzt, weil es ihr die gewünschten Dinge im Leben verschaffte. Daß sich jemand das alles bewußt verdarb, war einfach unfaßbar.
Zuweilen bereute sie ihren Einfall, das Mädchen vom Kai mitzunehmen. Doch nur zum Teil. Denn es hatte ja tatsächlich in beabsichtigter Weise gewirkt. Niemand konnte der reichen Witwe mit der bezaubernden kleinen Tochter widerstehen, und sie hatte nur drei Monate gebraucht, um den Mann zu finden, der ihr den entsprechenden Lebensstil ermöglichte. Äke war im Juli für eine Woche nach Fjällbacka gekommen, um ein wenig Erholung zu finden, und wurde statt dessen so effektiv von Agnes eingefangen, daß er bereits nach zwei Monaten Bekanntschaft um ihre Hand anhielt. Sie hatte mit kleidsamer Zurückhaltung akzeptiert und nach der in aller Stille erfolgten Trauung die Tochter genommen, um mit ihr nach Göteborg zu ziehen, wo er eine große Wohnung in der Vasagatan besaß.
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