Die Toechter der Kaelte
Das Haus in Fjällbacka wurde erneut vermietet, und sie atmete erleichtert auf, weil sie die Einsamkeit des kleinen Ortes hinter sich ließ. Sie war auch unzufrieden gewesen, daß die Leute ständig von ihrer Vergangenheit sprachen. Es war so lange her, dennoch schienen Anders und die Jungen den Leuten in höchstem Maße in Erinnerung zu sein, und sie konnte ihr Bedürfnis nicht verstehen, das Geschehene wieder und wieder durchzukauen. Eine Frau hatte sogar die Frechheit besessen, sie zu fragen, wie sie es nur aushielte, an derselben Stelle zu wohnen, wo ihre Familie verunglückt war. Zu jenem Zeitpunkt hatte sie Äke bereits fest an der Angel, also konnte sie es sich leisten, den Kommentar zu ignorieren. Sie hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war gegangen. Bestimmt würde man auch über diese Sache reden, aber das spielte für sie keine Rolle mehr. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Äke hatte eine hohe Position in einer Versicherungsgesellschaft inne und würde ihr ein komfortables Leben bieten. Er schien zwar nicht sonderlich an gesellschaftlichem Umgang interessiert, aber das würde sie schon bald ändern. Agnes sehnte sich danach, endlich wieder im Mittelpunkt eines glänzenden Festes zu stehen. Es gäbe Tanz und Champagner, schöne Kleider und Schmuck, und niemand sollte ihr das je wieder nehmen. Effektiv löschte sie die Erinnerungen an die eigene Vergangenheit aus, so daß sie ihr oft nur wie ein unbehaglicher, ferner Traum erschien.
Aber dann spielte ihr das Leben noch einmal einen Streich. Die glänzenden Feste waren an einer Hand abzuzählen, und sie badete auch nicht gerade in schönem Schmuck. Äke hatte sich als notorischer Geizhals erwiesen, und sie mußte um jede Ore kämpfen. Auch hatte er eine wenig schmeichelhafte Enttäuschung gezeigt, als ein halbes Jahr nach der Hochzeit ein Telegramm mitteilte, daß ihr gesamtes, von dem verstorbenen wohlhabenden Gatten geerbtes Vermögen durch eine Fehlspekulation des Verwalters leider verlorengegangen war. Sie hatte das Telegramm natürlich an sich selbst geschickt und war richtig stolz auf die Theatervorstellung, die sie bei dessen Eintreffen, inklusive einem dramatischen Ohnmachtsanfall, gegeben hatte. Sie war überrascht, daß Äke darauf so heftig reagierte, und das ließ sie argwöhnen, daß ihr vorgespiegeltes Vermögen bei seinem Heiratsantrag eine größere Rolle gespielt hatte als vermutet. Aber nun mussten sie es beide miteinander aushalten, so gut es ging.
Zu Beginn hatte sie nur eine gewisse Irritation wegen Äkes Geiz und seinem absoluten Mangel an Initiative empfunden. Am liebsten wollte er nur Abend für Abend zu Hause sitzen, das Essen, was man ihm auf den Tisch stellte, verspeisen, Zeitung und vielleicht ein paar Kapitel in einem Buch lesen, um danach in seinen Opapyjama zu schlüpfen und noch vor neun ins Bett zu kriechen. Während der ersten Monate hatte er sie jeden zweiten Abend gesucht, aber jetzt hatte sich das zu ihrer Erleichterung auf zweimal im Monat reduziert, immer bei gelöschtem Licht und ohne daß er dabei die Pyjamajacke ablegte. Agnes hatte jedoch festgestellt, daß es am Morgen darauf einfacher war, ihm eine kleinere Geldsumme zur eigenen Verfügung zu entlocken, und sie vertat nicht eine einzige dieser Gelegenheiten.
Doch mit den fahren hatte sich ihre Irritation immer mehr in Haß verwandelt, und sie suchte nach einem geeigneten Werkzeug, um es gegen ihn zu benutzen. Als sie merkte, daß seine Bindung zur Tochter immer enger wurde, begriff sie, daß sie das Mittel gefunden hatte. Sie wußte, daß er ihre Bestrafungen im höchsten Maße mißbilligte, aber auch, daß er viel zu konfliktscheu und schwach war, um sich für Mary einzusetzen. Und ihr bereitete es den größten Genuß, das Mädchen langsam, aber sicher gegen ihn aufzuwiegeln.
Sie war sich sehr wohl bewußt, welch große Sehnsucht Mary nach ein wenig Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit hatte. Wenn sie ihr nun beides gab und dem Kind zugleich ihr Gift in Form von Lügen über Äke ins Ohr träufelte, würde sie förmlich sehen können, wie es sich ausbreitete und festsetzte. Danach konnte sie es in aller Ruhe wirken lassen.
Der arme Äke wußte nicht, was er falsch machte. Ersah nur, wie sich das Mädchen immer weiter zurückzog, und die Verachtung in ihren Augen konnte ihm kaum entgehen. Sicher argwöhnte er, daß die Schuld daran bei Agnes lag, aber er hatte keine Beweise. Er redete mit dem Mädchen, so oft er nur konnte, und versuchte ihre Zuneigung sogar zu
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