Die Toechter der Kaelte
herzukommen.«
»Gut, dann sollten Sie die Freundin anrufen, eine Tasse Kaffee aufsetzen und versuchen, sich zu beruhigen. Sie werden sehen, das hier geht schon in Ordnung.« Patrik bemühte sich, zuversichtlich zu klingen, doch um ganz ehrlich zu sein, löste ihr dramatisches Verhalten bei ihm irgendwie ein unangenehmes Kribbeln aus. Irgend etwas wirkte falsch.
»Soll ich denn keine richtige Anzeige erstatten? Papiere ausfüllen und so?« fragte Lilian hoffnungsvoll.
»Das können wir später tun. Als erstes werden Patrik und ich ein Wort mit Kaj reden.« Gösta klang ungewöhnlich bestimmt, aber Lilian akzeptierte solch vage Versprechungen nicht.
»Wenn ihr vorhabt, bei der Sache ein Auge zuzudrücken, weil ihr zu faul seid einzugreifen, wenn eine wehrlose Frau einer solch schrecklichen Mißhandlung ausgesetzt wird, dann werde ich das nicht schweigend hinnehmen, darauf könnt ihr euch verlassen. Als erstes werde ich euren Chef anrufen, und dann gehe ich, wenn nötig, zu den Zeitungen und …«
Gösta unterbrach ihre Litanei und sagte stahlhart: »Niemand hat vor, bei irgend etwas ein Auge zuzudrücken, Lilian, aber jetzt gedenken wir als erstes mit Kaj zu sprechen und uns dann um die Formalitäten zu kümmern. Hast du Einwände, darfst du gern auf dem Revier bei unserem Chef, Bertil Mellberg, anrufen und deine Klagen vorbringen. Andernfalls kommen wir zurück, sobald wir mit dem Beschuldigten gesprochen haben.«
Nach kurzem innerem Kampf schien Lilian einzusehen, daß es Zeit für einen Rückzug war. »Ja, wenn dem so ist, dann gehe ich wohl rein und rufe Eva an. Aber ich rechne damit, daß ihr in Kürze zurück seid«, murmelte sie verdrossen. Dann konnte sie sich eine letzte Demonstration nicht verkneifen und warf die Tür hinter ihnen so heftig zu, daß es bis zu den Nachbarn schallte.
»Was hältst du von der Sache?« fragte Patrik, der es noch immer nicht fassen konnte, daß ausgerechnet Gösta sich Respekt verschafft hatte.
»Tja, ich weiß nicht so recht, ich …«, Gösta zog die Worte in die Länge. »Irgendwas wirkt … merkwürdig.«
»Genau so empfinde ich es auch. Hat Kaj während der jahrelangen Streitigkeiten je zu Handgreiflichkeiten geneigt?«
»Nein, und wenn es so gewesen wäre, hätten wir es auf der Stelle erfahren, das kannst du glauben. Andererseits hat man ihm bisher noch nie eine Mordanklage ins Gesicht geschleudert.«
»Da hast du natürlich recht«, erwiderte Patrik. »Aber er scheint einfach nicht der Typ zu sein, der zu Gewalt greift, wenn du verstehst, was ich meine. Wirkt mehr, als würde er einem, wenn er die Chance dazu hat, heimtückisch ein Bein stellen.«
»Da stimme ich dir zu. Aber erst wollen wir mal sehen, was er sagt.«
»So ist es«, erwiderte Patrik und klopfte an die Tür.
Strömstad 1924
In dem Augenblick, als ihr Vater durch die Tür trat, war es Agnes, als würde ihr Herz von einer kalten Hand gepackt. Irgend etwas war nicht in Ordnung, war absolut nicht in Ordnung. August sah aus, als wäre er in den wenigen Minuten, seit sie ihn gesehen hatte, um zwanzig Jahre gealtert, und mit einemmal begriff sie, daß sie todkrank sein mußte. Nur das konnte das Gesicht ihres Vaters in so kurzer Zeit derart zerfurchen.
Sie griff sich an die Brust und wappnete sich vor dem, was kommen würde. Doch der Kummer, den sie in den Augen des Vaters erwartet hätte, fehlte, statt dessen waren sie schwarz vor Zorn. Das war sonderbar, gelinde ausgedrückt, weshalb sollte er wütend werden, wenn sie im Sterben lag?
Trotz seines kurzen Wuchses ragte er bedrohlich neben dem Bett, in dem sie lag, auf, und Agnes tat instinktiv ihr Äußerstes, um so kläglich wie möglich zu wirken. Die wenigen Male, die ihr Vater böse auf sie gewesen war, hatte das immer die beste Wirkung gehabt. Aber diesmal schien es nicht zu funktionieren, und die Unruhe in ihrer Brust wuchs. Dann fuhr ihr ein Gedanke durch den Kopf. Aber er war so undenkbar und so entsetzlich, daß sie ihn gleich wieder verjagte.
Doch der Gedanke kehrte unbarmherzig zurück. Und als sie sah, daß die Lippen ihres Vaters sich bei dem Versuch zu sprechen bewegten, aber daß er zu aufgebracht war, als daß ihm die Stimmbänder gehorchten, da begriff sie, daß der Gedanke nicht nur eine Möglichkeit, sondern größte Wahrscheinlichkeit war.
Langsam rutschte sie unter der Decke immer mehr zusammen, und als die Hand ihres Vaters plötzlich mit Kraft ihre Wange traf und sie den unerwarteten Schmerz fühlte, da
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