Die Toechter der Kaelte
reichte, sorgsam darauf bedacht, keinen Blick auf die Bilder zu werfen. Dazu fühlte er sich noch nicht imstande.
Ehrfürchtig blätterte sie Seite für Seite um und lächelte traurig bei jedem neuen Foto. Plötzlich wurde ihr deutlich bewußt, was sie verloren hatte.
»Wie wunderbar sie sind«, sagte sie mit dem Stolz der Großmutter. Aber in den Stolz mischte sich Trauer, weil eins der Kinder jetzt für immer weg war.
»Du hast den Namen deiner Frau angenommen«, sagte sie vorsichtig, das Album auf dem Schoß krampfhaft umfassend.
»Ja«, erwiderte Niclas und starrte auf einen Punkt an der Wand. »Ich wollte nicht so heißen wie er.«
Sie nickte nur traurig. »Mußtest du wirklich schon wieder zur Arbeit gehen?« fügte sie beunruhigt hinzu und musterte ihn, wie er da vor ihr neben dem Schreibtisch saß.
Niclas blätterte planlos in dem Papierberg und schluckte, um den letzten Rest Tränen wegzudrücken. »Ich sah keine andere Alternative, wenn ich überleben wollte«, erwiderte er nur.
Seine Mutter begnügte sich mit der Erklärung, aber die Sorge in ihrem Blick verstärkte sich. »Vergiß nur die nicht, die dir noch geblieben sind«, sagte sie sanft und traf mit erschreckender Präzision genau seinen wunden Punkt.
Doch ihm war, als bestehe er aus zwei Personen. Einer, die daheim bei Charlotte und Albin bleiben und sie nie wieder verlassen wollte, und dieser anderen, die zur Arbeit floh, weg vom Schmerz, der bloß noch stärker wurde, wenn man ihn mit jemandem teilte. Vor allem wollte er seine eigene Schuld nicht im Gesicht von Charlotte gespiegelt sehen. Deshalb hatte der Fluchtinstinkt am Ende den Sieg davongetragen. All das wollte er seiner Mutter erzählen, er wollte, obwohl schon ein erwachsener Mann, den Kopf in ihren Schoß legen, wollte reden und sie versichern hören, daß alles wieder gut werde. Doch dieser Augenblick ging rasch vorüber, und nachdem sie das Album auf den Tisch gelegt hatte, stand sie auf und schritt auf die Tür zu.
»Mutter?«
»Ja?« Sie wandte sich um.
Niclas hielt ihr das Fotoalbum hin. »Nimm es, wir haben noch mehr Fotos.«
Asta zögerte, ergriff es dann aber, als wäre es ein rohes Ei, und legte es vorsichtig in ihre Handtasche.
»Ist wohl das beste, wenn du es sicher versteckst«, sagte er leise, mit schiefem Lächeln, doch da hatte sie bereits die Tür hinter sich geschlossen.
Er starrte an die Decke und trat leicht mit dem Fuß gegen die Wand. Er konnte nicht begreifen, wie es dazu gekommen war. Warum gerade er? Und warum hatte er nicht widersprochen, als dazu vielleicht noch Zeit war?
Die Poster an den Wänden erinnerten ihn an den, der er sein wollte. Normalerweise konnten ihn die Helden um ihn herum motivieren, härter zu kämpfen, sich noch mehr anzustrengen. Heute machten sie ihn nur wütend. Die hätten diese Scheiße nie akzeptiert. Hätten sich sofort geweigert. Hätten das getan, was man tun mußte. Deshalb waren sie dort angekommen, wo sie heute waren. Deshalb waren sie Helden. Er selbst war nur ein Fliegendreck und würde nie etwas anderes sein. Genau wie Rune immer sagte. Er hatte ihm nicht glauben wollen. Hatte sich gesträubt und gedacht, er würde Rune schon zeigen, daß er unrecht hatte. Er würde Rune zeigen, daß er ein Held war, und dann würde dem das leid tun. Ihm würden all die harten Worte leid tun. All die Demütigungen. Dann hätte er die Oberhand, und Rune würde ihn auf seinen nackten Knien um ein paar Minuten seiner Zeit bitten.
Das schlimmste war, daß er Rune am Anfang gemocht hatte. Als Mama ihm begegnet war, hatte er Rune supercool gefunden. Der fuhr einen Amischlitten und hatte Kumpels, die auf coolen Öfen durch die Gegend düsten, bei denen er ab und zu hintendrauf sitzen durfte. Aber dann heirateten Mama und Rune, und alles ging schief. Plötzlich wollten die beiden zeigen, daß sie richtige Durchschnitts-Svenssons waren, mit Haus, Volvo und sogar einem Scheißwohnwagen. Die Kumpels mit den Motorrädern verschwanden, und statt dessen hatten sie nur noch Umgang mit anderen Durchschnitts-Svenssons, die sich samstagsabends paarweise zum Essen zusammenfanden. Und natürlich wollten sie ein eigenes Kind. Das hatte er Rune zu einem der öden Nachbarpaare sagen hören. Daß sie ein eigenes Kind haben wollten. Sicher liebe er Sebastian, hatte Rune gesagt, aber dann in ernstem Ton hinzugefügt, daß es ja doch nicht dasselbe sei wie mit einem eigenen Kind. Und als dann dieses eigene Kind nicht kommen wollte, war es Rune irgendwie
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