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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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selbst hatte sich zum Glück von ihm freimachen können, aber als er jetzt seine Mutter ansah, bemerkte er, daß ihr die Jahre nicht gut bekommen waren. Der gleiche müde, gedrückte Ausdruck wie damals, als er verschwunden war, jetzt aber verstärkt durch all die neuen Runzeln, die ihr Gesicht aufwies.
    Niclas zog sich einen Stuhl heran und wartete, daß sie zu reden begann. Sie schien selbst nicht genau zu wissen, was sie ihm hatte sagen wollen. Nach kurzem Schweigen murmelte sie schließlich: »Ich bin so unglaublich traurig wegen des Mädels, Niclas.« Sie verstummte erneut, und er konnte nur nicken.
    »Ich kannte sie ja nicht… aber ich wünschte, ich hätte sie gekannt.« Ihre Stimme zitterte, und er ahnte, welche Gefühle sich unter der Oberfläche verbargen. Es mußte sie viel Kraft gekostet haben, zu ihm zu kommen. Soviel er wußte, hatte sie sich den Anweisungen seines Vaters noch nie widersetzt.
    »Sie war wunderbar«, sagte er mit schwacher Stimme. Doch er weinte nicht. Tränen waren in den vergangenen Tagen so oft geflossen, daß er bezweifelte, noch welche übrig zu haben. »Sie hatte deine Augen, aber wo sie die roten Haare herhatte, wissen wir nicht.«
    »Meine Großmutter hatte die schönsten roten Haare, die du dir vorstellen kannst. Von ihr muß …«, sie zögerte, den Namen auszusprechen, aber bekam ihn schließlich über die Lippen, »… Sara sie geerbt haben.«
    Asta sah auf ihre Hände hinunter, die auf ihrem Schoß ruhten. »Ich habe sie manchmal gesehen. Sie und den Jungen. Bin deiner Frau begegnet, wenn sie mit ihnen unterwegs war. Aber ich bin nie zu ihnen hingegangen. Wir haben uns nur angesehen. Jetzt wünschte ich, daß ich wenigstens einmal mit ihr gesprochen hätte. Wußte sie, daß sie hier im Ort eine Großmutter hatte?«
    Niclas nickte. »Ich habe viel von dir erzählt. Sie wußte, wie du heißt, und wir haben ihr auch Fotos von dir gezeigt. Die wenigen, die ich mitgenommen hatte, als …« Er ließ die Worte ausklingen. Keiner von ihnen wagte das verminte Gelände zu betreten, das sein Weggang aus dem Elternhaus darstellte.
    »Stimmt es, was ich gehört habe?« Sie hob den Blick und sah ihn zum ersten Mal direkt an. »Hat jemand der Kleinen etwas angetan?«
    Er versuchte zu antworten, aber die Worte blieben ihm tief im Hals stecken. Es gab so vieles, was er erzählen wollte, so viele Geheimnisse, die ihm wie ein großer Felsbrocken auf der Seele lasteten. Er wollte nichts lieber, als ihn von sich zu wälzen, ihr direkt vor die Füße. Aber er konnte es nicht. Zu viele Jahre waren vergangen.
    Jetzt kamen die Tränen, von denen er geglaubt hatte, sie seien versiegt, und liefen ihm die Wangen hinunter. Er wagte nicht, sie anzusehen, aber ihr Mutterinstinkt siegte über alle Ermahnungen und Verbote, und eine Sekunde später spürte er ihre zerbrechlichen Arme um seinen Hals. Sie war so klein, und er war so groß, aber in dem Augenblick empfand er es genau umgekehrt.
    »Ja, doch, ja, doch.« Besänftigend strich sie ihm über den Rücken, und er fühlte, wie die Jahre verschwanden und er sich wieder in der Kindheit befand. Geborgen in Mutters Armen, spürte er ihren warmen Atem und hörte die liebevolle Stimme, ihre Versicherungen, daß alles gut werde. Daß die Monster unterm Bett nur in seiner Phantasie existierten und daß sie sich trollen würden, wenn er es ihnen befahl. Aber diesmal waren die Monster gekommen, um zu bleiben.
    »Weiß Vater …?« fragte er, den Mund an ihrer Schulter. Er konnte die Frage nicht unterdrücken. Sofort spürte er, wie sie erstarrte und sich aus der tröstenden Umarmung löste. Der Zauber war gebrochen, und sie saß wieder vor ihm als die kleine, graue, abgehärmte Alte, die sich für den Vater und nicht für ihn entschieden hatte, damals, als er sie am meisten gebraucht hätte. Sein Herz war gespalten. Er sehnte sich nach ihr und liebte sie, aber er war auch voller Bitterkeit und Verachtung, weil sie nicht auf seiner Seite gestanden hatte, als er es brauchte.
    »Er weiß nicht, daß ich hier bin«, erwiderte sie lediglich, und Niclas sah, daß sie im Geiste schon wieder das Zimmer verlassen hatte. Aber er konnte sie nicht gehen lassen. Er wollte sie hierbehalten, wenn auch nur noch für einen Augenblick, und er wußte auch, was er dazu tun mußte.
    »Willst du Bilder von den Kindern sehen?« fragte er sanft, und sie nickte nur.
    Er ging zum Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf.
    Dort lag ein kleines Album mit Fotos, das er ihr jetzt

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