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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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Doch die Aussicht, bewundert, angesehen und erfolgreich zu sein, war wohl verheißungsvoll genug gewesen.
    Der einzige Grund, weshalb sie bei ihm blieb, waren die kurzen Momente, in denen sie zuweilen einen anderen Mann erblickte. Einen, der verletzbar war und zeigen konnte, was er fühlte. Der es wagte, sich zu öffnen, und nicht die ganze Zeit nur Charmeoffensiven startete. Jene Augenblicke waren es gewesen, derentwegen sie sich in Niclas verliebt hatte, was jetzt ein ganzes Leben zurückzuliegen schien. In den letzten Jahren waren diese Augenblicke immer seltener geworden, und sie wußte nicht mehr, wer er war und was er wollte. Manchmal, in schwächeren Stunden, hatte sie sich sogar gefragt, ob er eigentlich je eine Familie gewollt hatte. Wenn sie total ehrlich zu sich war, glaubte sie, daß er jetzt, wo er das Ergebnis vor Augen hatte, ein Leben ohne all die Verpflichtungen vorziehen würde, die eine Familie mit sich brachte. Aber irgend etwas mußte es ihm wohl bringen, sonst wäre er bestimmt nicht so lange geblieben. Während der vergangenen schwarzen Tage hatte sie in egoistischen Momenten gedacht, das Geschehene würde Niclas und sie vielleicht wieder einander näherbringen, wenigstens das. Aber wie sie sich doch geirrt hatte. Jetzt waren sie weiter voneinander entfernt als je zuvor.
    Ohne daß Charlotte es gemerkt hatte, war sie in Richtung des Fjällbackaer Campingplatzes gewandert und stand jetzt vor Ericas Haus. Daß die Freundin gestern bei ihr aufgetaucht war, hatte ihr ungeheuer viel bedeutet, aber dennoch zögerte Charlotte. Ihr Leben lang war sie es gewöhnt, keinen Platz zu beanspruchen, nichts für sich selbst zu fordern, nicht zur Last zu fallen. Sie verstand, wie ihr Kummer andere Menschen belastete, und sie war sich nicht sicher, ob sie Erica noch mehr an ihrer Bürde teilhaben lassen sollte. Gleichzeitig hatte sie es wirklich nötig, ein freundliches Gesicht zu sehen. Mit jemandem zu reden, der ihr nicht den Rücken zuwandte oder, wie im Falle ihrer Mutter, selbst diese Gelegenheit nicht ausließ, um ihr Vorhaltungen zu machen.
    Albin begann sich zu rühren, und sie hob ihn vorsichtig aus dem Wagen. Er blickte sich schlaftrunken um und zuckte zusammen, als Charlotte an die Tür klopfte. Eine ihr unbekannte Frau mittleren Alters öffnete.
    »Guten Tag?« sagte Charlotte unsicher, aber begriff dann, daß es Patriks Mutter sein mußte. Eine schwache Erinnerung aus jener fernen Zeit vor Saras Tod sagte ihr, daß Erica von ihrem Kommen gesprochen hatte.
    »Guten Tag, möchten Sie zu Erica?« fragte Patriks Mutter. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie zur Seite, um Charlotte einzulassen.
    »Ist sie wach?« fragte Charlotte vorsichtig.
    »O ja, sie stillt Maja. Zum wievielten Male weiß ich nicht. Früher bekamen die Kinder jede vierte Stunde zu trinken und keinesfalls öfter, und sie haben wahrhaftig keine Not gelitten.« Patriks Mutter plapperte immer weiter, und Charlotte folgte ihr nervös ins Haus. Nachdem die Menschen tagelang auf Zehenspitzen um sie herumgeschlichen waren, erschien es ihr merkwürdig, daß jemand in normalem Tonfall sprach. Dann sah sie, daß Ericas Schwiegermutter aufging, wer sie sein mußte, und Stimme und Bewegungen verloren an Schwatzhaftigkeit. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und sagte: »Entschuldigung, ich habe nicht begriffen, wer Sie sind.«
    Charlotte wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie drückte Albin nur noch fester an sich.
    »Mein herzliches Beileid …« Ericas Schwiegermutter trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, und man sah, daß sie am liebsten überall sonst gewesen wäre, aber nicht in Charlottes Nähe.
    Würde es jetzt immer so sein? dachte Charlotte. Daß die Menschen vor ihr zurückschreckten, als hätte sie die Pest? Daß sie flüsterten und hinter ihrem Rücken mit dem Finger zeigten, indem sie sagten: »Da ist die, deren Tochter ermordet wurde«, doch ohne es zu wagen, ihrem Blick zu begegnen. Vielleicht aus Angst, weil sie nicht wußten, was sie sagen sollten, oder aus der irrationalen Befürchtung heraus, daß Tragödien ansteckend waren und ihr eigenes Leben erreichen könnten, wenn sie ihnen zu nahe kamen.
    »Charlotte?« Ericas Stimme war aus dem Wohnzimmer zu hören, und die ältere Frau war offensichtlich erleichtert, einen Vorwand zu haben, um sich zu entfernen. Charlotte ging langsam und etwas zögernd zu Erica hinein, die in einem Sessel saß und Maja stillte. Die Szene wirkte vertraut, aber auch seltsam fern.

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