Die Toechter der Kaelte
waren. »Kanntest du Sara?«
»Ja.«
Gösta begann hin und her zu rutschen, und Martin legte ihm warnend die Hand auf den Arm. Irgend etwas sagte ihm, daß Gefühlsausbrüche die Möglichkeit, so viel wie möglich von Morgan zu erfahren, zunichte machen würden. »Wie hast du sie gekannt?«
Die Frage erbrachte von Morgan nichts anderes als leeres Starren, und Martin formulierte um. Er hatte nie zuvor darüber nachgedacht, wie schwer es war, beim Reden exakt zu sein, wie sehr man sich normalerweise darauf verließ, daß das Gegenüber den hinter den Worten liegenden Sinn erfaßte.
»War sie manchmal hier?«
Morgan nickte. »Sie störte meinen Tagesablauf. Klopfte an, wenn ich bei der Arbeit saß, und wollte reinkommen. Faßte meine Sachen an. Einmal wurde sie wütend, als ich zu ihr sagte, sie solle gehen, und da hat sie einen Teil meiner Stapel umgekippt.«
»Du mochtest sie nicht?« fragte Martin.
»Sie störte meinen Tagesablauf. Und hat meine Stapel umgekippt«, antwortete Morgan, näher konnte er einer Gefühlsäußerung in Bezug auf das Mädchen wohl nicht kommen.
»Und ihre Großmutter, was hältst du von ihr?«
»Lilian ist ein bösartiger Mensch. Das sagt Papa.«
»Sie behauptet, du bist um ihr Haus geschlichen und hast in die Fenster geschaut, hast du das?«
Morgan nickte, ohne zu zögern. »Ja, das habe ich gemacht. Wollte nur ein bißchen gucken. Aber Mama wurde böse, als ich es erzählte. Sie hat mir gesagt, daß ich das nicht tun darf.«
»Also dann hast du damit aufgehört?« fragte Gösta.
»Ja.«
»Weil deine Mama gesagt hat, daß man es nicht darf?« Göstas Stimme klang höhnisch, aber das schien an Morgan spurlos vorbeizugehen.
»Ja, Mama sagt mir immer, was man tun darf und was nicht. Wir trainieren Sachen, die man sagen kann, und Sachen, die man tun kann. Sie bringt mir bei, daß es, selbst wenn jemand eine Sache sagt, etwas ganz anderes bedeuten kann. Sonst sage oder mache ich alles falsch.« Morgan schaute auf seine Armbanduhr. »Es ist halb elf. Ich sitze um diese Zeit immer bei der Arbeit.«
»Wir werden nicht länger stören«, sagte Martin und erhob sich. »Wir bitten um Entschuldigung, weil wir deinen Zeitplan durcheinandergebracht haben, aber als Polizei können wir auf so etwas nicht immer Rücksicht nehmen.«
Morgan schien zufrieden mit der Erklärung und hatte sich schon zum Monitor umgedreht. »Macht die Tür ordentlich hinter euch zu«, sagte er, »sonst geht sie vom Wind auf.«
»Was für ein komischer Kauz«, sagte Gösta, als sie durch den Garten zum Auto schlichen, das sie eine Querstraße weiter geparkt hatten.
»Ich fand das hochinteressant«, antwortete Martin. »Ich hatte vorher noch nie von Asperger gehört, und du?«
Gösta schnaubte verächtlich. »Nein, zu meiner Zeit gab’s so was nicht. Heutzutage gibt’s so viele komische Diagnosen, aber mir reicht die Diagnose Idiot voll und ganz.«
Martin seufzte und setzte sich hinters Steuer. Gösta war nicht gerade ein Humanist, soviel war sicher.
Irgend etwas rumorte in Martins Unterbewußtsein, ließ ihn überlegen, ob sie die richtigen Fragen gestellt hatten. Er kämpfte mit seiner widerspenstigen Erinnerung, aber mußte schließlich aufgeben. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein.
Das Medizinische Zentrum war ganz in grauen Dunst gehüllt, und ein einziges Auto stand auf dem Parkplatz. Ernst, der noch immer sauer war, weil Patrik ihn wegen seines späten Kommens gerügt hatte, stieg aus dem Wagen und ging mit langen Schritten auf den Eingang zu. Irritiert warf Patrik die Autotür etwas zu heftig zu und folgte ihm dann fast rennend. Verdammt, es war, als hätte man es mit einem Kind zu tun!
Sie gingen am Schalter der Apotheke vorbei und wandten sich nach links in den Behandlungstrakt. Sie sahen keine Menschenseele, und ihre Schritte auf dem Korridor hallten leer wider. Endlich fanden sie eine Schwester und fragten nach Niclas. Die informierte sie, daß er einen Patienten hatte, aber in zehn Minuten fertig sei. So lange sollten sie bitte Platz nehmen. Patrik war immer wieder fasziniert davon, wie sehr sich Warteräume in Behandlungszentren glichen. Dieselben langweiligen Holzmöbel mit häßlichen Bezügen, dieselbe gehaltlose Kunst an den Wänden und immer dieselben tristen Illustrierten. Jetzt blätterte er zerstreut in etwas, das »Gesundheitsführer« hieß, und staunte, wie viele verschiedene Krankheiten es doch gab, von denen ihm noch nie etwas zu Ohren gekommen war. Ernst hatte sich,
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