Die Töchter der Lagune
Aussicht auf eine solch grausame und ungewöhnliche Bestrafung erbleicht war, entwich ihren zitternden Lippen kein Laut. Ihr Liebhaber war am Morgen, nachdem sie festgenommen worden war, in dem blau gekachelten Sünnet Köskü kastriert worden. Doch Elissa hatte gehört, dass er die schreckliche Amputation überlebt hatte und nun gezwungen war, mit einem Gänsekiel zu urinieren. Er war beinahe verblutet, aber schließlich hatte der Hekim ihn retten können. Auf diese Art und Weise, so hatte Selim beschlossen, würde die Strafe des Lästerers beinahe ewig währen.
Wenigstens würde Hülyas Leiden ein Ende haben. Als Roxelana mit der Hand winkte, eilten die beiden Wächter zu der Stelle, an der Hülya immer noch kniete, rissen sie grob an den Achseln vom Boden hoch und zerrten sie auf die hohe Doppeltür zu. Als sie an Elissa vorbeistolperte, sah sie einen flüchtigen Augenblick auf und ihre Blicke trafen sich. Lag da eine Bitte um Hilfe in ihren Augen? Bevor Elissa sich darüber klar werden konnte, was sie in Hülyas dunklen Pupillen gelesen hatte, war der Moment vorüber und die Gefangene wurde aus dem Saal geschleift. Hunderte Augenpaare folgten ihr; in einigen war Mitleid zu lesen, in anderen jedoch nichts als kalte Selbstgerechtigkeit.
*******
Das Mittelmeer, an Bord eines osmanischen Schiffes, März 1571
Die See lag nahezu ruhig da, und die kleinen, weißen Kronen, die auf den harmlosen Wellen ritten, wirkten für Mustafa wie Sahne auf einer Süßspeise. Er fühlte sich großartig. Der Besuch des Hamams in Latakia hatte seinem Körper das Gleichgewicht zurückgegeben. Einen Wimpernschlag lang hatte er den Stich des Bedauerns gefühlt, dass die starken, aber sanften Hände, die ihn einölten, nicht Behiyes waren. Aber er hatte den Gedanken an seine junge Gemahlin schnell verdrängt und den Abend im Dampfbad genossen.
Sie waren vor drei Stunden an Bord gegangen, doch es fühlte sich bereits an, als ob sie ewig auf See waren. Er konnte es kaum erwarten, Zypern zu erreichen! Der christliche Monat März näherte sich dem Ende, und er wollte bis zum Ende des Sommers Selim die Insel auf einem silbernen Tablett servieren. Dies würde ihm zur Unsterblichkeit verhelfen und dem Sohn, den er mit Behiye haben würde, eine brillante Zukunft sichern. „Wollt Ihr Euch zu mir gesellen?“ Ismails Stimme riss ihn aus seinem Tagtraum. Der alte Mann hielt eine kleine Schale in den Händen, gefüllt mit dampfendem Qahwa , den ein Sklavenjunge aus einer fein ziselierten Silberkanne eingegossen hatte. Mustafa schloss einen Augenblick lang die Augen, bevor er dem Meer den Rücken zuwandte und seinem Berater ins Gesicht blickte. „Ja, warum nicht“, erwiderte er und nahm die Trinkschale entgegen, die der respektvolle Diener ihm mit einer tiefen Verbeugung reichte. Während er auf den heißen Qahwa blies, betrachtete er seinen alten Freund und sagte schließlich: „Wir sollten unter Deck gehen und die Pläne für die Belagerung mit den anderen besprechen.“ Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie er die Venezianer in die Knie zwingen würde. Aber er benötigte die Hilfe und Sachkenntnis seiner Artillerieexperten.
*******
Zypern, die Zitadelle von Famagusta, März 1571
Christoforo musste mit Jago reden! Der Mann wusste mehr, als er angedeutet hatte! Und erst gestern hatte sich Emilia – Desdemonas Zofe – verplappert, und er hatte erfahren, dass seine Gemahlin mit Cassio im Rosengarten allein gelustwandelt war! Alleine! Eine lange Zeit! War sie die Quelle, aus der Jago seine Informationen bezog? Immerhin war der Major mit Emilia verheiratet. Christoforo sah sich um und holte tief Atem, ehe er die Schultern straffte. Die Befehle waren klar, die Männer wussten, was zu tun war. Daher konnte er ein paar Minuten stehlen, um diese dringende private Angelegenheit zu klären. Obwohl er sich geschworen hatte, sein militärisches Kommando niemals wegen der Beziehung zu seiner Gemahlin zu vernachlässigen, musste er sich inzwischen eingestehen, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Noch niemals zuvor hatte er die zerstörerische Kraft des Zweifels, die nur von dem ebenso starken Gefühl der Hoffnung in Schach gehalten wurde, so intensiv verspürt.
„Jago!“ Der Major überquerte soeben eine der schmalen Holzbrücken, die es den Verteidigern ermöglichten, die tiefen Gräben sowohl sicher als auch schnell zu überschreiten. Sein Gesicht war ernst, als er sich beim Klang seines Namens
Weitere Kostenlose Bücher