Die Töchter der Lagune
– ganz egal, wie es in seinem Inneren aussah. „Unsere Befestigungen sind stark genug, um doppelt so viele Türken aufzuhalten!“, knurrte er, nicht sicher, ob er es selbst glauben wollte oder nicht. Es stimmte, die Mauern, Wälle und Gräben entsprachen den modernsten Theorien des Festungsbaus und umgaben die Stadt wie luftdichte Schutzringe. Aber hatte der Erbauer mit der rohen Gewalt einer solchen Springflut von Angreifern gerechnet? Doch egal, wie bedrohlich die herannahende Armee auch sein mochte, der gefährlichste Feind war der Verlust der Hoffnung. Er würde sich nicht schon vor der Schlacht geschlagen geben! Mit einem entschlossenen Ausdruck auf den Zügen wandte sich Christoforo um und bellte eine Reihe von Befehlen. Dann zog er den Mantel, der im starken Wind heftig flatterte, über die linke Schulter und stieg die schlüpfrigen Steinstufen hinab, wobei er „Kriegsrat!“ in Jagos und Bragadins Richtung brüllte.
Der Weg zurück zur Zitadelle entlang der Stadtmauer schien endlos. Während er an den schäbigen Hütten der ärmsten Einwohner Famagustas vorbeieilte – verfolgt von ängstlichen Blicken, das Geräusch eilender Schritte im Rücken – fühlte er, wie ein stechender Kopfschmerz aus seinen Augenhöhlen Richtung Stirn kroch. Nicht schon wieder!, fluchte er innerlich, wütend auf die Schwäche, die ihn schon seit Tagen quälte. Während er den Kopf schüttelte, um den Schmerz abzuwerfen, beschleunigte er die Schritte. Er brauchte ein paar ungestörte Minuten vor der Ratsversammlung. Er musste nachdenken. Tief in Gedanken versunken, sah er Desdemona erst, als sie unmittelbar vor ihm stand. Ihr blondes Haar war gewissenhaft unter einer Scuffia – einer eng anliegenden Haube – verstaut, und ihre Wangen waren leicht gerötet. „Liebster, du siehst erschöpft aus.“ Sie stellte den kleinen Korb ab, den sie über den Arm gehängt hatte, und bot ihm die Wange, die er flüchtig, fast mechanisch küsste. „Ist dir nicht wohl?“, erkundigte sie sich besorgt und berührte seinen Arm. Ihre Hand lag kühl auf seiner heißen Haut, und er war dankbar für die Besorgnis, die in ihrer Stimme mitschwang. „Es ist nichts. Ich habe nur schon wieder diese Kopfschmerzen.“ Er hatte darüber geklagt, und sie hatte sich erboten, ihm am Abend kalte Umschläge zu machen. Doch bisher hatte er immer abgelehnt. Vielleicht würde er später doch auf diesen Vorschlag zurückkommen. Er seufzte.
„Du schwitzt ja“, bemerkte sie und tupfte ihm die Stirn mit dem bestickten Taschentuch, das er ihr in Venedig geschenkt hatte, und das sie immer bei sich trug. „Danke.“ Er entfernte sanft ihre Hand von seiner Stirn und küsste sie – in seltsamer Hochstimmung trotz der vernichtenden Nachricht von der Ankunft der osmanischen Flotte. Die Liebe, die er in den Augen seiner Gemahlin lesen konnte, war echt, ganz egal, welch dunklen Verdacht Jago auch in seiner Seele pflanzen wollte. Einem plötzlichen Impuls folgend, zog er sie in die Arme und küsste ihren köstlichen Mund. „Oh, Christoforo“, wisperte sie, warf die Arme um seinen Hals und presste ihren weichen Körper an den seinen. „Ich liebe dich so sehr.“ Sie gab sich dem Moment mit ganzer Seele hin und bemerkte daher nicht, dass ihr das Taschentuch aus der Hand glitt und zu Boden segelte. „Lass uns hineingehen“, schlug Christoforo schließlich vor, nachdem er sie ein letztes Mal tief und gierig geküsst hatte. „Es ist zu kalt für dich ohne Mantel. Und ich muss mich auf den Rat vorbereiten.“ Nachdem er ihr den Arm um die Schultern gelegt hatte, steuerte er auf den Haupteingang der Burg zu.
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„Oh!“ Emilia bückte sich und hob das Taschentuch auf, das sie schon oft bei ihrer Herrin gesehen hatte. Sie hatte Christoforo Moro und Desdemona im Hauptgebäude verschwinden sehen, als sie gerade mit einer Korbflasche voller Wein für Desdemona aus dem Weinkeller getreten war. Desdemona liebte es, an den immer noch ziemlich kalten Abenden einen Becher heißen Gewürzwein zu trinken. Seitdem Jago ihr befohlen hatte, ein Auge auf die Gemahlin des Generals zu haben und ihm zu berichten, mit wem sie sich traf, war Emilia in Desdemonas Gegenwart ein wenig befangen. Er hatte ihr nicht gesagt, warum ihm das so wichtig war. Doch sie vermutete, dass es etwas mit dem schrecklichen Rodrigo zu tun hatte.
„Was tust du hier draußen ganz alleine?“ Die wohlbekannte, schneidende Stimme ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Während sie
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