Die Töchter der Lagune
schwarzen Leder bekleidet, der andere steckte noch im Strumpf der engen Kniehose. Wie im Traum hatte er seine Kleider angelegt – Hose, Unter- und Oberwams – und die geübten Bewegungen waren wie von selbst vonstatten gegangen. Konnte es wahr sein? Konnte die Ungeheuerlichkeit, die Jago angedeutet hatte, wahr sein?, fragte er sich zum hundertsten Mal, seit Desdemona ihn allein gelassen hatte. Als wolle sie ihn foppen, tauchte die Erinnerung an Cassio und Desdemona – lachend und eng beieinander – vor seinem inneren Auge auf. War es mehr als nur die harmlose Zuneigung zweier Freunde? Waren Cassios Handküsse tatsächlich nichts weiter als reine Höflichkeit? Oder waren die Blicke, mit denen er Desdemona bedachte, feuriger? Die eines Mannes, der das Weib eines anderen begehrte? Mit einem Stöhnen fuhr er sich durch das dicke, lockige Haar und beantwortete die Frage genau wie all die Male zuvor. Nein! Es konnte nicht sein! Durfte nicht sein! Desdemona versuchte lediglich, den Frieden in ihrer kleinen Gesellschaft wieder herzustellen. Etwas anderes war einfach unmöglich! Allerdings würde er in Zukunft ein Auge auf sie haben – nur um sicherzugehen, dass er sich nicht in ihr täuschte. Denn, so hallten Jagos Worte in seinem Verstand nach, immerhin hatte sie auch ihren eigenen Vater betrogen! Mit diesem Entschluss rammte er den Fuß in den Stiefel und sprang von dem Stuhl auf, in dem er niedergedrückt von dem dunklen Verdacht gebrütet hatte. Dann ergriff er sein Schwert und steuerte auf die Tür zu.
Kapitel 26
Konstantinopel, Topkapi Palast, ein Saal im Harem, März 1571
Der riesige Saal tief im Innern des Harems platzte aus allen Nähten. Beinahe alle seiner über dreihundert Mitglieder hatten sich in der großen Halle versammelt, die zu den Gemächern der Sultansmutter Roxelana gehörte. Zwei prächtige Kronleuchter hingen von der hohen, gewölbten Decke, deren warmes Licht auf die gekachelten Wände fiel. Die prunkvollste dieser Wände befand sich direkt hinter dem vergoldeten, thronähnlichen Stuhl, auf dem die Mutter des Sultans zu Gericht saß. Das sternförmige Muster, welches das Auge des Betrachters verwirrte, war aus kostbaren Fliesen in unterschiedlichen Blau-, Schwarz- und Brauntönen komponiert. Die Ecken der sechszackigen Sterne waren schwarz, die Mitte königsblau. Ein Band aus kornblumenblauen Kacheln umrahmte das erstaunliche Kunstwerk, dessen Leitmotiv das der Blumenvielfalt zu sein schien.
Elissa hatte diesen Teil des Harems noch niemals zuvor betreten, und die beinahe obszöne Üppigkeit schockierte sie. All die goldenen und silbernen Ornamente, die das Licht der zahllosen Kerzen zurückwarfen, brachten sie zum Blinzeln. Im Vergleich zu der Pracht des Saales und der Garderobe der Valide Sultan wirkte die nackte, schmutzverkrustete Gefangene, die auf dem harten Boden kniete, mitleiderregend mit ihrem strähnigen Haar und ihren von Rattenbissen entstellten Beinen. Einige der Wunden hatten sich entzündet und eiterten bereits. Nicht viel war geblieben von dem ehemals atemberaubend schönen Mädchen. Und Elissa fing boshafte Blicke auf, welche die dünnen Schleier, die einige der Frauen angelegt hatten, nicht verbergen konnten. Die Valide Sultan starrte mit harten, mitleidslosen Augen auf die Übeltäterin hinab – das gepuderte Gesicht vollkommen gleichgültig. Sie trug ein kunstvoll besticktes, etwas altmodisches, smaragdgrünes Gewand mit einem dazu passenden Überwurf. Eine goldene Kette mit einem großen Medaillon schwang bei jeder Bewegung auf ihrem ausladenden Busen hin und her. Der weiße Kragen korrespondierte mit dem perlenbesetzten Goldreif in ihrem Haar, von dem ein durchsichtiger, weißer Schleier über ihre Schultern fiel. Wie eine Spinne im Netz, durchzuckte es Elissa.
„Dies ist keine Gerichtsverhandlung.“ Roxelanas hohe, blecherne Stimme durchschnitt die Luft und ließ das Geflüster und Gemurmel verstummen. „Der Beherrscher der Gläubigen hat sein Urteil bereits gefällt.“ Sie hielt einen Moment inne, um eine bessere Wirkung der Worte zu erzielen, die dieser Verkündigung folgten. „Er hat es mir überlassen, darüber zu entscheiden, wie das Todesurteil vollstreckt werden soll.“ Elissa hielt den Atem an. „Die Angeklagte soll in der prallen Sonne an einen Pfahl gebunden werden, und ihre Haut soll mit dem Saft frischer Pfefferschoten bestrichen werden, bis das Feuer ihren sündigen Leib läutert und ihre Seele erlöst.“ Obschon Hülya bei der
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