Die Töchter der Lagune
heftig, während dunkelrotes Blut in einem mehr als fingerdicken Strahl aus der Wunde schoss und das struppige, gelbe Gras braun färbte. Gefangen unter dem schweren Mauerstück, zuckte und wand er sich wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„Versucht, die Blutung zu stoppen!“, brüllte Francesco aus vollem Hals, um sich über den Kanonendonner dem Mann verständlich zu machen, an den Raffaeles anderes Bein immer noch gefesselt war. Der junge Soldat war von der Wucht des Aufpralles zurückgeschleudert worden, doch wie durch ein Wunder unverletzt geblieben. Er hatte sich neben seinem verwundeten Kameraden in eine sitzende Stellung gekämpft und starrte mit ungläubigen Augen auf die schreckliche Wunde hinab – zu verwirrt, um dem Freund zu helfen, dessen Kräfte beunruhigend schnell schwanden. „Verdammt!“, murmelte Francesco und begann, auf den Verwundeten zuzukriechen. Zu spät bemerkte er, dass der Soldat, mit dessen Bein er durch das kurze Stück groben Stricks um seinen Knöchel verbunden war, bewusstlos war. Ein fieberhafter Gedanke jagte den anderen, bis sein Blick schließlich auf einen scharfkantigen Stein in seiner Reichweite fiel, den er als Messer gebrauchen konnte. Mit den auf den Rücken gefesselten Händen danach zu angeln und die Stricke zu durchtrennen, war beinahe eine fließende Bewegung.
Er kroch auf allen Vieren den Abhang des Grabens entlang, um nicht vom Feind entdeckt zu werden, bis er schließlich den verwundeten Jungen erreichte, der den Schmerz immer noch nicht zu spüren schien. Das Gesicht des Knaben war kalkweiß, und ein dünner Schweißfilm hatte sich auf seine Stirn gelegt. Doch den bleichen, leicht geöffneten Lippen entrang sich kein Laut. Das abgetrennte Bein stak in einem bizarren Winkel unter dem großen Sandsteinbrocken hervor – fast als gehöre es zu einer anderen Person. Hastig riss Francesco einen Fetzen Stoff aus der Uniform des jungen Soldaten und presste ihn auf die Wunde. „Hilf mir!“, knurrte er Raffaeles Freund an, der beim Klang der Worte aus einem Traum zu erwachen schien. „Binde es ab!“ Bevor der Venezianer allerdings den Befehl befolgen konnte, lief ein Schauer durch Raffaeles Körper, und der Junge seufzte schwach, als das Leben aus seinem Körper floh. Er sackte auf dem trockenen Gras zusammen, und als Francesco nach seinem Puls tastete, fühlte er nichts außer der feuchten Kälte der Haut des Knaben.
„Verdammt!“ Einige Herzschläge lang war Francescos Kopf wie leer gefegt, ehe er begriff, was geschehen war. Armer Kerl! Und dennoch blieb ihnen keine Zeit für Trauer. Er musste die Situation zu ihrem Vorteil nutzen. Dies war ihre einzige Hoffnung auf Flucht, da niemand sie auch nur im Geringsten zu beachten schien. Den improvisierten Dolch in der blutverschmierten Hand kroch er von einem Venezianer zum anderen, um ihre Fesseln zu durchtrennen. Als er bei der letzten Gruppe Gefesselter anlangte – von denen einer ein Auge verloren hatte und heiser stöhnte – und an den Seilen herumsägte, erschien plötzlich ein osmanischer Soldat über ihren Köpfen.
„Nenn mir einen Grund!“, zischte der Türke durch zusammengebissene Zähne und hob das Krummschwert.
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„Dort und dort drüben!“, bellte Christoforo Moro, und wies seine Männer an, die schweren Pulverfässer unter den Teilen der Ravelinmauer zu vergraben, die noch standen. Die Gesichter der Soldaten waren rußverschmiert, aber sie wirkten trotz der Verwirrung der vergangenen sechs Stunden, in denen sie die Stadt mit Zähnen und Klauen verteidigt hatten, noch bemerkenswert frisch. Nach grimmigen Stunden des Schlachtens war es seinen Männern schließlich gelungen, den Feind – der heute hohe Verluste zu beklagen hatte – zurückzuschlagen. Allerdings war es den Türken beinahe gelungen, den Ravelin einzunehmen, und daher hatte Christoforo beschlossen, die Vorschanze zu verminen. Wenn sie nicht länger gehalten werden konnte, musste er sie in die Luft jagen, um damit den umkämpften Zugang zur Stadt zu blockieren – die Porta de Limassol.
Kapitel 37
Zypern, ein Militärpavillon vor den Toren von Famagusta, 29. Juni 1571
All das Chaos und die Verwirrung spielten ihr in die Hände. Elissa hatte sich um die Ecke des Zeltes geschlichen, das sie mit Neslihan teilte, hatte hinter den breiten, bloßen Rücken der Wachen den Atem angehalten und näherte sich nun der Stelle, an der ein halbes Dutzend düstergesichtiger Soldaten die gebundenen Gefangenen
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