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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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sammeln. Und es gab genug Blumen und Bäume auf dieser Insel. Wenn doch nur ihre eigenen Probleme auf solch Ursprüngliches reduziert werden könnten! Sie unterdrückte ein Seufzen. Es nützte nichts, sich das Gehirn darüber zu zermartern, was es bedeuten mochte, dass ihre Monatsblutung überfällig war.
     
    Ein ersticktes Schluchzen aus Angelinas Richtung riss sie aus ihren Gedanken. „Es ist jetzt schon über eine Woche her“, flüsterte ihre Schwester mit erstickter Stimme. „Aber ich spüre, dass er noch am Leben ist!“ Sie hob das tränenüberströmte Gesicht, und Desdemonas Herz schmerzte bei ihrem Anblick beinahe ebenso wie das ihrer Schwester. Sie wischte Angelina eine feuchte Strähne aus der Stirn. „Sie werden ihm kein Leid zufügen.“ Sie bemühte sich, alle Überzeugung in diese Worte zu legen, von denen sie beide wussten, dass sie reine Spekulation waren. „Was, wenn sie ihn töten?“ Angelinas Stimme erstarb. „Das werden sie nicht. Er ist ihr Gefangener. Sie werden ihn vermutlich bald gegen einen ihrer eigenen Männer austauschen.“ Die türkischen Kriegsgefangenen waren in einem alten, stinkenden Stall zusammengepfercht worden. Sie war entsetzt gewesen, als sie einen Blick auf die dunkelhäutigen Männer erhascht hatte, von denen viele ernsthaft verletzt waren. Und sie hoffte inständig, dass die Venezianer unter weniger barbarischen Umständen festgehalten wurden. Desdemona griff nach dem Essen und erhob sich. „Komm mit nach drinnen“, drängte sie. „Du musst etwas zu dir nehmen und dich ausruhen. Du siehst furchtbar aus“, setzte sie hinzu. Als Angelina keine Anstalten machte, ihr zu folgen, ergriff sie ihren Ellenbogen und zog sie auf die Beine.
     
    „Er ist so grausam“, wisperte diese plötzlich mit erstickter Stimme. „Wer?“, fragte Desdemona verwirrt. „Christoforo!“ In Angelinas rot geränderten Augen lag ein seltsamer Ausdruck, als sie sich in die ihrer Schwester bohrten. Desdemona blieb wie angewurzelt stehen. „Er benutzt Menschen wie Spielfiguren.“ Die Bemerkung schien aus dem Zusammenhang gerissen, doch Desdemona konnte den Gedankensprüngen ihrer Schwester mühelos folgen. Sie machte Christoforo für Francescos Gefangennahme verantwortlich. Hatte sie recht mit dem, was sie sagte? Je länger sich dieser Krieg hinzog, desto mehr dachte Desdemona von Christoforo wie von einem Fremden. Seit dem Vorfall beim Bankett herrschte eine kühle Distanz zwischen ihnen, die allmählich dafür sorgte, dass ihre Seele einfror. Die artigen Küsse, die sie sich zur Begrüßung und zum Abschied auf die Wange hauchten, waren kaum mehr als Liebesbekundungen zwischen Bruder und Schwester. Und das Feuer ihres Ehebettes schien vollkommen erloschen. Sie unterdrückte ein trauriges Seufzen. Was war nur mit dem wunderbar warmen Gefühl des Einsseins geschehen? Was war aus ihren Träumen geworden? Ohne auf die Bemerkung einzugehen, ergriff sie Angelinas Hand und führte sie auf die von einem Rundbogen überspannte Tür zu.
     
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Zypern, Famagusta, 29. Juni 1571
     
    Was hatten sie vor? Christoforo Moro tigerte den Wehrgang auf und ab – seine Anspannung und Nervosität beinahe greifbar in der wabernden Luft. Seit dem letzten Sturmangriff, der die Mauern beim Turm der Arsenal Bastion zerstört hatte, hatten seine Männer Tag und Nacht Blut geschwitzt, um die Durchbrüche zu reparieren. Es war zu keinem weiteren Angriff auf die Bastion gekommen, aber Christoforo hatte das untrügliche Gefühl, dass das scheinbar ziellose Geplänkel, in das der Feind seine Männer verwickelte, nur dem Zweck diente, vom eigentlichen Ziel abzulenken – dem Ravelin, dem Sprungbrett zur Porta de Limassol.
     
    Unglücklicherweise behinderten sowohl das hufeisenförmige Schanzwerk selbst als auch die überdachten Gräben, mit denen der Feind das offene Feld vor den Stadtmauern durchzogen hatte, den Blick auf die Truppenbewegungen der Osmanen. Dieser Teil des angeblich ausgeklügelten Verteidigungssystems war nicht ganz durchdacht, sinnierte Christoforo ärgerlich vor sich hin. Hatten sich die Baumeister denn keine Schlachtsituation vorstellen können? Jedes Kind konnte sehen, dass der Ravelin idealen Schutz vor dem Feuer der Belagerten bot. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
     
    Die gleißende Sonne brannte stechend aus einem beinahe makellos blauen Himmel. Lediglich dort, wo sich in weiter Ferne der Horizont mit dem Mittelmeer verband, trübten Schleierwolken das reine Azurblau. Das

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