Die Töchter der Lagune
Worte mithören konnte. „Ich bin sicher, gesehen zu haben, wie Cassio ein solches Buch heute in aller Heimlichkeit geküsst und unter seinen Rock gesteckt hat.“
Er genoss den kurzen Augenblick, bevor die Kugel mit voller Wucht ihr Ziel traf, und der unbezähmbare Krieger auf einem Steinbrocken zusammenbrach. Das Gesicht in den Händen vergraben, stöhnte er wie ein Mann, der Höllenqualen litt. Dieser einfältige Narr! Wie einfach es doch war, ihn mit dem schneidenden Stahl bloßer Worte zu fällen! Er holte zum Todesstoß aus. „Und das hier“, sagte er leise, „habe ich unter seinem Lager gefunden.“ Er zog das von Cassio gestohlene Decamerone hervor und blätterte es auf. Cassios Name stand auf der ersten Seite. Als ein dicht beschriebenes Blatt Papier darin zum Vorschein kam, seufzte er und hielt es Moro vor das gerötete Gesicht.
„ Meine angebetete Göttin“ , las dieser tonlos.
„ Bitte erhört mein Flehen und trefft mich in der Nacht des kommenden Vollmonds im Hof der Zitadelle. Ich kann nicht mehr ohne Euch leben, und wenn Ihr mich nicht erhört, werde ich meinem Leben ein Ende bereiten.
Ich flehe Euch an, beschwöre und bekniee Euch!
In Liebe Cassio.“
„Außerdem habe ich einen Perlenohrring bei ihm gesehen, der aussieht wie der, den Eure Gemahlin oft trägt“, setzte Jago nach. Eine Weile, die Jagos ungeduldigem Herzen wie eine Ewigkeit vorkam, saß Christoforo einfach nur bewegungslos da. Dann plötzlich sprang er auf – die Augen geschwollen von zurückgehaltenen Tränen, die Nasenflügel bebend – und keuchte heiser: „Dieser ehrlose Hund! Ich bringe ihn um!“
„Beruhigt Euch, Signore , Ihr könntet es bereuen.“ Auch wenn er innerlich jubilierte, gab er vor, von der unvermittelten Gewalt der Reaktion des Generals erschüttert zu sein. „Niemals!“, knurrte Christoforo, in dessen Brust kalter Hass langsam die heiße Flamme des Zorns erstickte. „Diese Hure wird mich nicht noch einmal zum Narren halten.“ Er wirbelte herum, um Jago, der instinktiv einen Schritt vor dem Größeren zurückwich, ins Gesicht zu starren. „Ich werde ihn zum Duell fordern und ihr werdet mein Zeuge sein!“, presste Christoforo zwischen den Zähnen hervor, aber Jago hob beschwichtigend die Hand. „Wollt Ihr nicht erst Eure Gemahlin dazu befragen?“, warf er ein. Ehe Moro antworten konnte, erschütterte das Donnern mehrerer Kanonen die Luft und ein Teil der Mauer hinter ihnen explodierte in tausend Stücke.
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Zypern, Famagusta, 29. Juni 1571
Ohne es zu bemerken, hatte Cassio die Schritte in den zwielichtigen Teil der Altstadt gelenkt, in dem sich Biancas Unterkunft befand. Geschrei und Kanonendonner lagen über der Stadt, aber das war inzwischen beinahe alltäglich. Er war tief in Gedanken und besorgt – nicht nur wegen seiner Verletzung, die schmerzte, als hätte sich bereits eine Entzündung ausgebreitet – sondern auch wegen der Neuigkeiten, die Desdemona ihm mitgeteilt hatte. Bei der Verabschiedung hatte er zaghaft nachgefragt, wie es um seine Sache bestellt war, doch sie hatte nur niedergeschlagen den Kopf geschüttelt und ihm mitgeteilt, dass momentan nicht der richtige Zeitpunkt war. Zwar hatte sie diese Aussage nicht genauer erläutert, aber aus ihren pflichtbewussten Worten hatte er herausgehört, dass Christoforo Moro zurzeit in gefährlicher Stimmung war.
Rechts und links von ihm verdunkelten die verfallenen Holzhütten des gesellschaftlichen Abschaums von Famagusta den blauen Himmel. Und er musste hastig aus dem Weg springen, als sich über ihm eine Luke öffnete und eine zahnlose alte Vettel einen Eimer stinkendes, verseuchtes Wasser auf die Straße goss. „He!“, bellte er, doch die alte Hexe grinste ihn lediglich frech an und knallte die Luke wieder zu. „Verdammte Kuh“, murmelte er, beschloss jedoch, den Vorfall auf sich beruhen zu lassen. Als er nach einem der wenigen Steinhäuser in diesem Teil der Stadt um die Ecke bog, stieß er mit Bianca zusammen. „Cassio!“, rief sie aus, sichtlich entzückt, ihn zu treffen. Glücklicherweise drang das Sonnenlicht nicht bis in die dunkelsten Nischen der Stadt vor, sodass sich ihr geschminktes Gesicht dem Test des natürlichen Lichtes nicht unterwerfen musste. Mit einer flinken Bewegung zupfte sie den Ausschnitt ihres leicht befleckten Kleides zurecht, sodass das steile Tal zwischen ihren Brüsten besser zur Geltung kam, und lächelte ihn an.
„Was machst du auf der
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