Die Töchter der Lagune
fürchten sie sich weniger, wenn sie das Kriegsgeheul der Türken nicht mehr hören können“, bemerkte er sardonisch.
Rodrigo, der sich als einfacher Einwohner der belagerten Stadt verkleidet hatte, runzelte hinter dem breiten Rücken eines riesigen, Schimpfwörter brüllenden Schmiedes die Brauen. Der General schien eine morbide Freude daran zu haben, dem grausamen Spektakel beizuwohnen. Sein Gesicht war eine Maske der strengen Entschlossenheit, doch das wache Auge des aufmerksamen Beobachters entdeckte auch eine Spur der Zufriedenheit in seinen Zügen. Zufriedenheit, die seltsam fehl am Platz schien, wenn man die Alltäglichkeit einer solchen Disziplinarstrafe in Betracht zog. Doch was scherte es ihn? Eigentlich hatte Rodrigo die staubigen, engen Gassen der Stadt auf der Suche nach Jago durchstreift, bevor ihm eine Mauer aus schreienden Menschen den Weg versperrt hatte. Er musste in Erfahrung bringen, ob der junge Offizier, der ihn in besagter Nacht beim Herumspionieren erwischt hatte, seine Entdeckung weitergegeben hatte. Wenn er nur Jago davon in Kenntnis gesetzt hatte, war er immer noch sicher. Sollte die Information allerdings bis zu Christoforo Moro vorgedrungen sein, dann würde er sich in Acht nehmen müssen.
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Zypern, ein Militärpavillon vor den Toren Famagustas, 23. Juni 1571
Mustafa Pascha starrte auf den jungen Mann hinab, der grob vor ihm auf die Knie gezwungen worden war. Hinter ihm knieten noch mehrere andere venezianische Soldaten auf dem trockenen und harten Gras vor dem Zelt des Agas. Der junge Mann hatte sich genügend erholt, um sich auf den Knien halten zu können, obwohl er bei dem Versuch, nicht vornüber zu kippen, leicht schwankte. „Ich frage Euch jetzt das letzte Mal“, warnte Mustafa. „Wie ist die Verteidigungsstrategie Eures Generals?“
Eine Welle sturen Schweigens schlug ihm entgegen. Die Männer des Agas hatten in den vergangenen Tagen bereits etliche Gefangene gefoltert und getötet. Aber sie hatten keinerlei Informationen aus den blutenden, schreienden Männern pressen können. Die Tapferkeit der Venezianer – selbst im Angesicht äußerster Pein – war bemerkenswert. Er zog den langen, geschwungenen Dolch und näherte sich Francesco. Der Bursche war der hochrangigstevenezianische Krieger, den sie bis jetzt gefangen hatten. „Wisst Ihr, wie lange es dauert, bis man verblutet?“, fragte der Türke im Plauderton, ehe er die scharfe Spitze der Klinge in die weiche Vertiefung unter dem Kinn des Mannes presste und ihn so zwang, den Kopf zu heben und seinen Blick zu erwidern. „Das ist mir gleichgültig“, versetzte der Gefangene ruhig – die dunklen Augen bar jeden Anzeichens von Furcht. Gegen seinen Willen musste Mustafa zugeben, dass er den Schneid des Jungen bewunderte. Er schien es, darauf ankommen lassen zu wollen. Ein Jammer, dass er ihn würde töten müssen. Er wäre sicherlich ein würdiger Schachgegner gewesen.
Kapitel 36
Zypern, ein Rosengarten in der Zitadelle, 29. Juni 1571
„Es tut mir leid.“ Desdemona hatte sich ihrer Schwester – die zum ersten Mal, seit die furchtbare Nachricht sie erreicht hatte, ihre verriegelte Kammer verlassen hatte – leise von hinten genähert. Angelina hatte sich in den Rosengarten zurückgezogen – etwas kalten Braten und eine Scheibe altes Brot neben sich auf dem heißen Holz der Bank. Das Essen war unberührt. Ihr Kopf war gesenkt, und ihr Haar wirkte ungekämmt und wild. „Oh, Angelina, es tut mir so leid!“ Desdemona ließ sich neben ihrer Schwester nieder, die ihre Anwesenheit mit keinem Blinzeln zur Kenntnis nahm, und legte ihr die Hand auf den heißen, verschwitzten Rücken. Die Hitze war beinahe unerträglich. Seit Christoforo sich von ihr zurückgezogen hatte, fand sie ohnehin kaum Schlaf. Nun, da die letzte Hitzewelle über der Insel zusammengeschlagen war, wachte sie nachts beinahe ein Dutzend Mal schweißgebadet davon auf, dass ihr Haar an der nassen Stirn oder im Nacken klebte.
Die Luft in dem schattigen Garten war schwer vom Duft der voll aufgeblühten Rosen sowie vom Aroma der dunklen Erde und des trockenen Holzes. Sie sog es tief ein, in der Hoffnung, dass es den Gestank eiternden Fleisches, der ihr in der Nase lag, vertreiben würde. Um die großen Blüten tanzten Bienen, die eifrig Nektar für ihre Waben sammelten. Wie sie diese Insekten beneidete! Sie kannten keine Kriege. Alles, um das sie sich sorgen mussten, war, ausreichend Nektar für ihre Königin zu
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