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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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der breiten Schärpe zu verbergen, und sein Stolz hatte es ihm nicht gestattet, den gutmütigen Wallach anzunehmen, den ihm der Stalljunge mit einer unschuldigen Verbeugung vorgeführt hatte.
     
    Er hasste diesen Feldzug! Warum war er nicht in seinem gemütlichen Palast geblieben? Verdammte Weiber! Wäre da nicht die Verschwörung gegen sein ungeborenes Kind gewesen, hätte er die sicheren Mauern des Topkapi Sarayi mit seinen üppigen Gärten und zahllosen Freuden niemals verlassen. Gegen seinen Willen wurde sein Blick von einer gewaltigen Rauchwolke angezogen, die vom Ravelin aufstieg. Was war geschehen?
     
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Zypern, das Feldlager vor den Toren von Famagusta, 9. Juli 1571
     
    „Schnell!“ Neslihan grinste Elissa an, und ihre weißen Zähne blitzten hell aus dem rußgeschwärzten Gesicht. Die Mädchen hatten die Kleider angelegt, die Francesco für sie gestohlen hatte, die langen Haare unter die farbenfrohen Kappen gestopft und die Gesichter mit Ruß aus den Kohlebecken beschmiert. Die Täuschung war beinahe vollkommen. Ihre schlanken Körper konnten leicht für die von Knaben gehalten werden, da Elissas Bauch trotz der fortgeschrittenen Schwangerschaft noch nicht sehr stark gerundet war. Die bartlosen Wangen unterstrichen diesen Eindruck. Zudem untersagte der Qu’ran es Frauen sicherlich genauso wie die Bibel aufs Strengste, Männerkleider zu tragen, und niemand würde einen solch selbstmörderischen Zug vermuten. Elissas Magen zog sich bei dem Gedanken, was mit ihnen geschehen würde, sollte man sie ertappen, schmerzvoll zusammen.
     
    „Wir müssen die anderen Gefangenen befreien“, flüsterte sie, bevor sie vorsichtig um die Ecke ihres Zeltes lugte. Beinahe alle Soldaten befanden sich in der Schlacht, und die Sicherheitsvorkehrungen waren minimal. Schließlich war der Feind umzingelt und die Gefangenen eingesperrt! Elissa fragte sich, warum man die Venezianer heute im Lager zurückgelassen hatte, doch ihre Aufmerksamkeit wurde unvermittelt von einer Gruppe lachender Männer abgelenkt. Sie erzählten sich brüllend Witze darüber, was sie mit den Frauen in der belagerten Stadt anfangen würden, wenn sie endlich fiel. Als sie in einem der geräumigen Zelte verschwunden waren, huschten die beiden Mädchen über den ungeschützten Grasplatz und kauerten sich flink hinter einen Heuhaufen, als sich weitere Stimmen näherten. Allerdings trieben die tiefen Baritonstimmen der Wachen nach rechts ab. Nachdem sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, kroch Elissa vorsichtig auf allen Vieren zu dem Verschlag, in dem die Gefangenen in der prallen Sonne vor sich hin brieten.
     
    „Pst!“, zischte sie, als sie Francesco entdeckte, der wieder zu seinen Männern gesperrt worden war, da der Aga offensichtlich nicht sehr viel Vertrauen in sein Versprechen setzte. „Wie können wir Euch befreien?“ Francesco kämpfte sich aus der Kauerstellung hoch, die er angenommen hatte, und trat – sich unauffällig umblickend – zu der Stelle, wo sie im Schatten eines der hohen Zelte kniete, um sich vor den türkischen Soldaten zu verbergen. „Geht!“, flüsterte er eindringlich. „Macht euch um uns keine Sorgen. Uns wird nichts geschehen.“ Elissa schüttelte energisch den Kopf. „Nein“, widersprach sie stur. „Ihr habt uns geholfen, jetzt helfen wir Euch. Das Lager ist beinahe leer!“ Ihre Hände umklammerten die hölzernen Gitterstäbe, und sie blickte ihn flehend an. „Geht!“, wiederholte er. „Ich kann nicht mit euch kommen.“ Er stieß einen leisen Fluch aus. Als Elissa ihn ungläubig anstarrte, setzte er hinzu. „Ich habe mein Wort gegeben, keinen Fluchtversuch zu unternehmen.“
     
    Ehe Elissa ihrem Ärger über seine Dummheit Ausdruck verleihen konnte, vernahm sie einen unterdrückten Angstschrei. Beinahe im selben Moment spürte sie einen eisernen Griff im Nacken, der sie mit solcher Gewalt auf die Beine riss, dass sie den Boden unter den Füßen verlor.

Kapitel 40
     
Zypern, Famagusta, 9. Juli 1571
     
    Der Ravelin war verloren. Hunderte triumphierend schreiender Angreifer rannten auf das Tor im Ringwall zu – dem Hauptzugang zur Stadt. Ihre Gesichter spiegelten den Erfolgstaumel wider, in dem sie sich befanden. Und die meisten von ihnen waren zu freudetrunken, um den verräterischen kleinen Flämmchen, die auf die Hauptmauer des Wehrbaus zuzüngelten, Beachtung zu zollen. Um sicherzugehen, dass die Lunten nicht entdeckt und ausgetreten wurden, hatten die Verteidiger mehrere Schnüre zwischen dem

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