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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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nicht an dem Kampf gegen die Ungläubigen teilnahm.
     
    Aber das war ihm inzwischen alles scheißegal! Die Zeiten, in denen er sich für seine Untätigkeit und Feigheit geschämt hatte, waren längst vorbei – vergessen in den vielen Stunden des weinseligen Halbschlafes. Sophia, die Hure, die vom ersten Moment an begriffen hatte, dass er eine sichere Investition war, lehnte an seiner Schulter. Ihr Haar war schmutzig und verfilzt, ihr Geruch scharf und unangenehm. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal ihren mageren Körper begehrt hatte. Doch seit über einer Woche war jedes Verlangen nach einer Frau in ihm erstorben. „Komm, Liebster“, lallte sie. „Lass uns gehen.“ Ihre Augen waren unfokussiert, und sie sabberte. Ihr dritter Kelch Wein rutschte ihr beinahe aus der zitternden Hand. Rodrigo wandte sich angeekelt ab.
     
    Es war höchste Zeit, etwas zu ändern. So konnte er nicht weitermachen. Er zerstörte in diesem stinkenden Loch seinen Körper! Mit einer energischen Bewegung schob er den Krug von sich und kämpfte sich auf die Beine. Leicht schwankend benötigte er einige Augenblicke, um die benebelten Sinne zusammenzunehmen. Als der Horizont sich dort befand, wo er hingehörte, warf er nachlässig eine Münze auf den groben Holztisch und taumelte auf die Tür zu. Er blinzelte im grellen Sonnenlicht und stieß sich von der niedrigen Tür ab, bevor er sich blindlings durch die zurückkehrenden Soldaten schlängelte und auf seine Unterkunft zustolperte.
     
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Zypern, das Feldlager vor den Toren Famagustas, 9. Juli 1571
     
    „Ich bitte Euch, das nicht zu tun.“ Mustafas Stimme war ruhig, die Haltung respektvoll, wenn auch selbstbewusst. Man hatte ihn über Selims Wutanfall in Kenntnis gesetzt, und er erreichte den Richtplatz gerade noch rechtzeitig, um den Stallsklaven davon abzuhalten, die Peitsche knallen zu lassen. „Es wäre ein nicht wieder gutzumachender Fehler“, stellte er sachlich fest. „Wir hätten mit dem General keinerlei Verhandlungsbasis mehr, und diese Belagerung könnte sich noch wesentlich länger hinziehen, als wir ursprünglich geplant hatten.“ Selims fette Wangen bebten, als der korpulente Herrscher versuchte, den Ärger, der in ihm aufwallte, niederzuringen. Denn er fürchtete den Aga mehr, als er sich selbst eingestehen wollte. Mustafa Pascha war kein Mann, den man zum Feind haben wollte. Er starrte auf den gefesselten Gefangenen hinab, der zwischen den Hufen der vier Klepper auf dem Rücken lag – keine Spur von Furcht auf dem Gesicht. Hatten diese Männer denn nicht die gleiche panische Angst vor dem Sterben wie er selbst? Immer wenn er die Bereitwilligkeit sah, mit der seine Soldaten in die Schlacht zogen – auch wenn dies den sicheren Tod oder Verstümmelung für sie bedeutete – fragte er sich, ob es vielleicht doch hilfreich wäre, an Allah zu glauben.
     
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    Elissa und Neslihan saßen in einem der Stallzelte in der Falle. Sie hatten sich dort verbergen müssen, da sie nicht an den beiden Wachen vorbeikamen, die sich auf dem trockenen Gras zu einem Würfelspiel niedergelassen hatten. Die Männer waren erst aufgesprungen, als die ersten Bogenschützen vom Schlachtfeld zurückgekehrt waren. Ihre Pferde waren vom Galoppieren in der staubigen Hitze des Tages durstig und mussten getränkt werden. Seit diesem Zeitpunkt war vor den Ställen viel zu viel Aufruhr, als dass sich die Mädchen heimlich hätten davonstehlen können. Elissa hatte den Atem angehalten, als die Janitscharen Francesco auf den Richtplatz gezerrt hatten, denn sie war sicher, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte. Als dann die vier Pferde aus den Boxen geführt worden waren und man begonnen hatte, ihn an die geduldig wartenden Wallache zu binden, hatte sie einen entsetzten Aufschrei unterdrückt und Neslihan mit ungläubig geweiteten Augen angestarrt.
     
    Dann war Mustafa Pascha aufgetaucht, während Selim den wehrlosen Gefangenen mit Schimpfwörtern und Fußtritten bedachte. Sie konnte nicht verstehen, was der Kommandant Selim sagte. Doch es sah aus, als legte er ein gutes Wort für den Venezianer ein, da sich Selim kurz darauf mit wutverzerrtem Gesicht abwandte und davoneilte, während der Aga den Befehl gab, den Gefangenen zu befreien.
     
    „Danke“, hörte sie Francesco, der sich die Handgelenke rieb, heiser krächzen. „Keine Ursache“, erwiderte Mustafa. „Unglücklicherweise vergisst der Sultan manchmal sein diplomatisches Geschick“, bemerkte er

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