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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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struppigen Buschwerk und dem blendend weißen Sandstein verborgen. Bevor den türkischen Soldaten das unheimliche Schweigen der Musketen ins Bewusstsein drang, zerriss eine Reihe von Explosionen die Mauern um sie herum; verwandelte die erste Linie der Angreifer in einen blutigen Brei und zerfetzte die Gliedmaßen derjenigen, die ihren Kameraden hinterherströmten. Innerhalb weniger Sekunden war die schwefelgelbe Luft erfüllt von schrillen Schmerzens- und Angstschreien. Wer fliehen konnte, trampelte die unglücklichen Verwundeten nieder, die zurückgelassen wurden, um in den Ruinen des Ravelins einen elenden und qualvollen Tod zu sterben.
     
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Zypern, das Feldlager vor den Toren von Famagusta, 9. Juli 1571
     
    Neslihan versuchte verzweifelt, den Kopf vor den brutalen Schlägen des Mannes zu schützen. Dieser hatte sie am Kragen gepackt und prügelte mit dem Ledergurt, den er von seiner Uniform losgemacht hatte, auf sie ein. „Wir wollten doch nur die Ungläubigen sehen“, heulte sie – geistesgegenwärtig genug, die Verstellung aufrechtzuerhalten – und schrie auf, als der Riemen auf ihren Rücken klatschte. „Bitte“, flehte Elissa, die hilflos in dem schraubstockartigen Griff ihres Häschers hing, als er sie absetzte, um ihr die gleiche Behandlung zuteil werden zu lassen wie dem anderen Burschen. „Wir wollten nur einen Blick auf die stinkenden Schweine werfen“, rief sie aus und legte so viel Verachtung wie möglich in die Stimme. Um ihr Argument zu unterstreichen, spuckte sie vor die hölzernen Gitterstäbe und rümpfte angeekelt die Nase.
     
    „Ihr solltet Wasser holen oder die Ställe ausmisten, anstatt hier herumzuschleichen!“, fauchte Elissas Peiniger und hob die Hand. Ehe er jedoch den Fausthieb landen konnte, der das Mädchen sicherlich zu Boden gestreckt hätte, rief Francesco: „Ihr braucht keine Feinde, um einander an die Kehle zu gehen, oder?“ Wütend über die Provokation ließen die Männer von den beiden Knaben ab und wandten sich zu dem Gefangenen um, der sich eingemischt hatte. „Lauft!“, brüllte Francesco, als die türkischen Soldaten den Verschlag erreicht hatten, um sich den aufmüpfigen Gefangenen vorzunehmen. Die Mädchen nutzten die Chance zur Flucht; schnell rappelten sie sich auf und nahmen die Beine in die Hand. Die Männer sahen ihnen mit einem spöttischen Lächeln nach. „Wie edel von Euch, die Wehrlosen zu beschützen“, bemerkte einer von ihnen abfällig. „Ihr solltet beten, dass jemand dasselbe für Euch tut, wenn der Beherrscher der Gläubigen Euch nicht länger benötigt.“ Brüllend vor Lachen schlenderten die beiden Wachen betont lässig davon – die Jungen längst vergessen.
     
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    „Wo sind sie?“, tobte Selim außer sich vor Wut. Er hatte die Reihe vernichtender Explosionen, die über tausend türkische Soldaten das Leben gekostet hatte, hilflos mit ansehen müssen. Nichts war von dem Ravelin übrig geblieben, das einer der beiden Seiten nützen konnte. Nach Stunden erfolglosen, demoralisierten Kämpfens hatte Mustafa Pascha schließlich zum Rückzug blasen lassen, und die Überlebenden waren niedergeschlagen und müde ins Lager zurückgekehrt.
     
    Selim schäumte. „Hierher!“, brüllte er eine Gruppe erschrockener Janitscharen an. „Bringt sie zu dem Platz hinter den Stallzelten!“ Er würde diesen venezianischen Hunden zeigen, was es bedeutete, ihn herauszufordern. Ihn, den Herrscher der östlichen Welt! „Wir werden mit Euch anfangen!“ Sein Gesicht war nur wenige Zoll von Francescos entfernt, der in dem schmerzhaften Griff des osmanischen Kriegers um Würde rang. „Fesselt seine Arme und Beine an vier Pferde. Er wird gevierteilt.“ Heißes Entsetzen durchzuckte Francescos Körper. „Und Euer Kadaver wird vor den Stadtmauern verrotten!“, zischte Selim.
     
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Zypern, eine schäbige Taverne in Famagusta, 9. Juli 1571
     
    Rodrigo war so betrunken, dass er den Aufruhr vor dem Gebäude kaum bemerkte. Er hatte sich in derselben schäbigen Taverne verkrochen, welche er seit ein paar Wochen häufig aufsuchte, und das Vorhaben, Jago entgegenzutreten in süßem Rotwein ertränkt. Obwohl er schon längst genug hatte, schüttete er diesen ununterbrochen die stets durstige Kehle hinunter. Wie gewöhnlich war die Taverne zu dieser Tageszeit fast leer, da die meisten Zecher entweder noch im Bett oder an der Front waren. Er schien außer dem Wirt – der zu alt und zu fett war – der einzige Mann zu sein, der

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