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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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ganzen Spaß dadurch verdorben, dass sie sich mit dem kostbaren Purpurschal erhängte, den er ihr als Willkommensgeschenk überreicht hatte. Er schob auch diesen Gedanken beiseite und versuchte, sich auf die Musik zu konzentrieren, die den Tanz der Mädchen begleitete. Sie war süß und melodisch und unterstrich ihre fließenden Bewegungen. Bevor er sich jedoch in der komplizierten Abfolge der Tanzschritte verlieren konnte, öffnete sich die Tür und der Mann, nach dem er gesandt hatte, betrat den Raum und näherte sich ihm mit zusammengelegten Handflächen und einer tiefen Verbeugung. Als er auf Höhe des Diwans war, warf sich der Eunuch zu Boden und berührte dreimal mit der Stirn den Boden, wobei die Federn, die seinen Turban schmückten, auf und ab wippten.

Kapitel 8
     
Das Mittelmeer, Dezember 1570
     
    Als Elissa die Augen öffnete, war sie von Dunkelheit eingehüllt. Sie wusste nicht, wo sie sich befand und was geschehen war. Doch als sie die Bewegung des Schiffes spürte und das Salz und die Feuchtigkeit roch, brachen die Schrecken der vergangenen Stunden mit solcher Macht wieder hervor, dass sie sich übergeben musste. Sie vernahm einen tierischen Laut und es dauerte einige Zeit, bis sie sich darüber klar wurde, dass es das Geräusch ihres eigenen trockenen Schluchzens war, das ihren schmerzenden Körper schüttelte. Lange weinte sie ohne Unterlass, wobei die Erinnerungen an den furchtbaren Anblick ihrer verstümmelten Eltern und Marias abgetrenntem Kopf sie beinahe um den Verstand brachten. Irgendwann versiegten ihre Tränen jedoch, und sie kämpfte sich in eine sitzende Stellung, um sich gegen die hölzerne Wand zu lehnen – zu erschöpft, um etwas anderes zu unternehmen. Dann zog sie die Beine an den Körper, bis sie diese mit den Armen umfassen konnte. Zwar waren ihre Hände mit einem groben Seil gefesselt. Doch ansonsten konnte sie sich in der winzigen Kabine, die langsam Gestalt annahm, als sich ihre geschwollenen Augen an die Dunkelheit gewöhnten, frei bewegen. Zwei vergitterte Bullaugen gähnten in der Bordwand, und durch das rechte erhaschte sie einen Blick auf den feuerroten Sonnenuntergang. Sie saß auf einer schmalen Koje, die nach feuchten Daunen roch. Gegenüber konnte sie eine große Kiste sowie einen Tisch und zwei Stühle ausmachen. Mehrere Kerzenleuchter aus Silber schimmerten im Halbdunkel. In der hintersten Ecke des Raumes konnte sie trotz des spärlichen Lichts die Umrisse eines großen Spiegels ausmachen.
     
    Warum hatte man sie am Leben gelassen? Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war die grauenhafte, blutverschmierte Fratze von Marias Mörder. Warum hatte man sie an diesen Ort gebracht? Furcht nagte an ihren Eingeweiden, und das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu, als sie sich all die schrecklichen Dinge ausmalte, die sie vielleicht erwarteten. Sie hatte schon davon gehört, dass Reisende von Piraten entführt worden waren, doch sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Geschichten, die man sich erzählte, nicht wahr waren. Je mehr sie über ihre ungewisse Zukunft nachgrübelte, desto kälter wurde ihr, und sie fing an, in der kühlen Abendluft zu zittern. Würden sie sie verhungern oder verdursten lassen? Aber warum dann die Mühe, sie an Bord des Schiffes zu bringen? Oder würde man sie einem dreckigen, stinkenden Ungläubigen als Sklavin verkaufen? Sie schauderte vor Abscheu. Eher würde sie sich das Leben nehmen, als einem Heiden zu dienen!
     
    Lange Zeit saß sie da und brütete über ihrem Schicksal, bis schwere Fußtritte, die sich ihrer Zelle näherten, sie aus ihren Gedanken rissen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie sah sich fieberhaft nach einem Versteck um, während Panik ihre Sinne umnebelte. Bevor die furchtbare Erkenntnis, dass sie sich nirgends verkriechen konnte, in ihr Bewusstsein vordringen konnte, wurde die Tür aufgetreten und ein breitschultriger Mann füllte den Türrahmen. Mit einem Wimmern versuchte Elissa, ihren Körper noch näher an die Wand zu pressen. Ihr Kopf war wie leer gefegt vor Furcht. Der Mann trug ein ehemals weißes Hemd, das inzwischen mit dem Blut der erschlagenen Venezianer besudelt war. Sein schwarzes Haar wurde teilweise von einem schmutzigen Turban bedeckt, und sein langer schwarzer Bart reichte ihm bis auf die Brust. Er trug einen Krug und einen Sack aus Segeltuch in der einen und eine Fackel in der anderen Hand. Nachdem er Elissa einen Augenblick lang wortlos angestarrt hatte, betrat er den Raum, schleuderte

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