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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Decamerone vorlas. Diese trug gerade mit gekünstelter Stimme die Erzählung von einem alten Dottore vor, der sich in eine junge Witwe verliebt hatte. Mit weit aufgerissenen Augen fuchtelte sie in der Luft herum und fistelte in den höchsten Tönen, um dem Vortrag Lebendigkeit zu verleihen. Angelina konnte ihr überhebliches Gehabe nicht ausstehen. Warum lud ihre Mutter sie nur immer und immer wieder ein?, fragte sie sich mit einer Grimasse. Signora Brabantio thronte nahe der zweiflügeligen Doppeltür und überwachte die Schicklichkeit des Verhaltens der jungen Mädchen. Sie hatte eine saure Miene zur Schau getragen, als eine der jungen Damen verkündete, dass sie etwas aus dem Decamerone hören wollte, doch sie hatte es nicht unterbinden können, da es sich um die Tochter eines äußerst einflussreichen Senators handelte. Angelina fand ihre Bedenken albern, schließlich besaßen sie und ihre Schwester ebenfalls ein altes, lädiertes Exemplar der Geschichtensammlung, die ihre Mutter so anstößig fand.
     
    Desdemona saß neben ihr auf der bequemen Bank, die gerade erst vom Polsterer zurückgekommen war. Nach langen Diskussionen hatte ihre Mutter Papa davon überzeugen können, wie beschämend es war, dass ihre Einrichtung nicht den Ansprüchen der neuesten Modemaßstäbe entsprach. Daher war dem prachtvollen Stück der alte, violettfarbene Bezug abgezogen worden und durch dunkelbraunen, golddurchwirkten Brokat ersetzt worden. Den Kopf eifrig über den Stickrahmen gebeugt, bot Desdemona ein Bild der Unschuld. Hin und wieder stahl Angelina einen Blick auf die geröteten Wangen ihrer Schwester und verkniff sich ein Feixen, da ihre Fantasie Bilder malte, die sie kaum ernst bleiben ließen. Nach dem Mittagessen hatte Desdemona ihr von dem Treffen berichtet, und zuerst war sie empört gewesen über die Ungeheuerlichkeit dessen, was Desdemona vorhatte. Doch als sie erkannt hatte, wie glücklich ihre Schwester war, wie sehr ihre Augen vor Freude funkelten, hatte sie beschlossen, ihr und ihrem offenbar feurigen Geliebten zu helfen.
     
    „Wann wollt ihr …“, raunte sie Desdemona ins Ohr. Diese fuhr zusammen und sah sie flehentlich an, während sie damit rang, die Fassung zu wahren. Noch immer schien sie sich nicht von der Tortur erholt zu haben, welche Papas Einladung ihr bereitet hatte. Ohne zu ahnen, was er damit anrichtete, hatte Signor Brabantio Christoforo gebeten, mit ihnen zu Mittag zu essen, um hinterher mit ihm in seinem Studierzimmer zu verschwinden und über Politik zu diskutieren. Die Mahlzeit war eine Qual gewesen für die Liebenden, und Angelina hatte sich gewundert, dass ihren Eltern nichts Ungewöhnliches aufgefallen war. Bevor er ihrem Papa durch die dunkle Eichentür gefolgt war, war es Christoforo gelungen, Desdemona einen Augenblick zur Seite zu nehmen und einige geflüsterte Worte mit ihr zu wechseln. Nach dieser kurzen Unterhaltung hatte Desdemona kurzzeitig etwas erleichterter gewirkt, und so nahm Angelina an, dass die Ältere etwas Wissenswertes erfahren hatte. Neugierig hakte sie nach: „Komm schon.“ Sie stieß ihrer Schwester den spitzen Ellenbogen in die Rippen. „Ich weiß, worüber ihr geredet habt.“ Desdemona blickte erschrocken auf. „Wie kannst du …?“ Ihre Augen waren entsetzt geweitet, und sie warf ihrer Mutter, die mit ihrer Stickarbeit auf dem Schoß eingedöst war, einen verstohlenen Blick zu. Angelina legte beruhigend die Hand auf ihren Oberschenkel. „Ich habe einfach ins Blaue geschossen, aber deine Reaktion gibt mir recht.“ Sie grinste. „Wann?“ Sie würde nicht so leicht aufgeben – Desdemona kannte ihre Schwester – deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als ihr alles zu beichten. Mit einem Seufzer senkte sie ihren Stickrahmen und lehnte sich vor. „Am kommenden Sonntag.“ Es war der Tag vor Heiligabend, und es würde weitaus einfacher sein als sonst, eine Entschuldigung dafür zu finden, dass sie das Haus ohne ihre Eltern verlassen wollten. Überall fanden Feiern statt, und sie würde einfach vorgeben, von einer ihrer Freundinnen eingeladen worden zu sein. Gott sei Dank, wusste sie, welchen Mägden und Dienern sie vertrauen konnten. „Wirst du mich begleiten?“, bat Desdemona mit einem flehenden Blick. Der Plan wäre nicht narrensicher ohne die Hilfe ihrer Schwester. Angelina nickte. „Natürlich. Ich sagte doch, ich würde dir helfen, oder?“ Irgendwie kam sie sich in diesem Moment wie die ältere der beiden Schwestern vor, und es war ein gutes

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