Die Töchter der Lagune
Gefühl. Bis zum heutigen Tag war Desdemona immer die Besonnenere von ihnen gewesen, diejenige, die erfahrener und weniger leichtsinnig war als sie selbst. Doch auf merkwürdige Art und Weise hatte diese Angelegenheit ihr Leben völlig verändert.
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Konstantinopel, Topkapi Palast, Dezember 1570
Selim hatte nach dem Eunuchen geschickt. Traubensaft rann sein Kinn hinab, aber er war zu träge, ihn fortzuwischen. Der Raum war heiß und stickig, da zu viele Feuer in den Kohlebecken brannten, und das kleine Saftrinnsal vermischte sich auf seinem Weg den Hals hinab mit seinem Schweiß. Der Sklavenjunge neben Selims Diwan gab sein Möglichstes, um ihn zu kühlen, wobei er sichtlich mit dem Palmenwedel zu kämpfen hatte, der viel zu groß war für seine Hände. Selim stieß einen Seufzer aus. Ihm war langweilig, unglaublich langweilig. Er hatte den Nachmittag damit zugebracht, den Mädchen beim Tanzen und Singen zuzusehen, doch das hatte ihn auch nicht aufzumuntern vermocht. Noch viel schlimmer war, dass es ihn nicht einmal erregt hatte, obgleich die meisten der Tänzerinnen halb nackt waren. Er hatte mit jeder von ihnen geschlafen und kannte alle Geheimnisse ihrer geschmeidigen Körper. Selbst Hülyas Dienste hatten in den vergangenen Wochen ihren Reiz eingebüßt, und er hatte weniger häufig nach ihr verlangt als in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft.
Er sehnte sich nach einer Abwechslung; es drängte ihn danach, sich eine neue Konkubine zuzulegen. Deshalb hatte er auch nach dem Eunuchen geschickt. Der Mann war der Oberaufseher der anderen Castrati , die sich um die Frauen im Harem kümmerten, und Selim verließ sich voll und ganz auf sein Talent, die richtigen Gespielinnen für ihn auszuwählen. Es war höchste Zeit für einen heißblütigen und temperamentvollen Neuzugang – vielleicht ein Mädchen aus dem Land eines seiner Feinde. Sie waren so vollkommen anders als die Frauen aus den osmanischen Provinzen. Und Selim hatte sich schon oft gefragt, ob wohl der Einfluss seiner Mutter, der geraubten Tochter eines orthodoxen ukrainischen Priesters, dafür verantwortlich war, dass er ihr Wesen so sehr schätzte. Seit er sich erinnern konnte, war die Gegenwart seiner Mutter immer Ehrfurcht einflößend gewesen. Sie war seit jeher aufbrausend und jähzornig und bis heute führte sie mit eiserner Hand das Szepter über den königlichen Harem. Dieser umfasste mehrere Hundert Frauen, darunter Selims Gemahlinnen, Geliebte, Töchter und andere weibliche Verwandte sowie Eunuchen und Sklavinnen, die diesen zu Diensten waren. Die Frauen waren komplett von der Außenwelt abgeschirmt, doch die meisten von ihnen erhielten eine Ausbildung, zum Beispiel als Hebammen, Lehrerinnen oder Schneiderinnen. Ihre erlernten Berufe durften sie ausüben und wurden auch dafür entlohnt. Das Ziel all seiner Konkubinen war es jedoch, Valide Sultan , die Mutter des nächsten Sultans, zu werden. Und Selim war sich darüber im Klaren, dass die Frauen, um dieses Ziel zu erreichen, Ränke schmiedeten und Intrigen spannen, ja sogar vor Mord nicht zurückschreckten. Hatte seine Mutter nicht auch alles Menschenmögliche unternommen, um Mustafa, den als Nachfolger favorisierten Sohn seines Vaters, Süleymann des Prächtigen, aus dem Weg zu schaffen und ihren eigenen Nachkommen auf den Thron zu heben? Selim selbst war mit seinem Bruder Bayezid in eine Reihe von Kämpfen um die Thronfolge verwickelt gewesen, bis sein Vater schließlich befohlen hatte, den nach Persien entflohenen Sohn zu erdrosseln. Eigentlich wäre es Selims Aufgabe gewesen, sich den Rivalen vom Hals zu schaffen, und gemäß der osmanischen Tradition des Brudermords unter rivalisierenden Thronerben wäre er sogar im Recht gewesen. Doch sein Vater hatte wieder einmal ein Problem lösen müssen, das sein Sohn nicht in den Griff bekam.
Selim seufzte und wischte den Gedanken an seinen Vater beiseite, um zu Angenehmerem zurückzukehren. Eine widerspenstige Frau zu brechen bereitete so viel mehr Vergnügen als einfach nur die Freuden zu genießen, die seine Konkubinen ihm so unterwürfig anboten. Das letzte Mal, als er ein griechisches Mädchen mit milchweißer Haut entjungfern durfte, hatte er so viel Lust dabei empfunden, dass er drei Mal gekommen war. Sie hatte sich wie eine Wildkatze gegen ihn zur Wehr gesetzt, aber als er sie ein wenig geschlagen hatte, war aller Widerstand verebbt und sie hatte ihn tun lassen, was immer er wollte. Unglücklicherweise hatte sie ihm den
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