Die Töchter der Lagune
Camerlengo : „Schick Männer aus, um die Mitglieder des Senates zusammenzurufen.“
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Venedig, vor einer Casa in der Nähe der Piazza San Marco, 24. Dezember 1570
„Was?!“, explodierte Rodrigo. „Warum habt Ihr mir das nicht schon früher gesagt?“ Sein Gesicht war weiß vor Wut, und er hatte Jago am Kragen seines Obergewandes gepackt. „Wozu habe ich Euch all das Geld gegeben?!“, wütete er. „Beruhigt Euch, Signore. “ Jago konnte seinen Unwillen über das respektlose Verhalten des anderen nur mit Mühe unterdrücken. Sicherlich, er hatte den Idioten gemolken und ihm Bargeld und Juwelen abgenommen mit dem Versprechen, Geschenke für seine Angebetete zu kaufen und seinen Einfluss auf ihren Vater geltend zu machen, um ein gutes Wort für ihn einzulegen. Aber das gab dem Waschlappen noch lange nicht das Recht, ihn anzurühren! Wie viel Selbstbeherrschung es ihn gekostet hatte, sein Gesicht vor dem Burschen zu wahren, der ihm mit stolzgeschwellter Brust berichtet hatte, dass er einer der Trauzeugen des Generals sein würde! Ein weiterer junger Niemand, den Moro mit einer scheinbaren Ehrenbezeugung an sich binden wollte. Er schluckte den bitteren Geschmack, der in seiner Kehle aufstieg. Hochzeit! Wenn er gewusst hätte, dass Moro mehr plante als eine seiner üblichen kurzlebigen Tändeleien, dann hätte Jago schneller gehandelt! Aber noch war nichts verloren. Als bei dem Gedanken an die Braut unvermittelt Giulias Gesicht vor seinem inneren Auge auftauchte, wischte er die Erinnerung mit einer ärgerlichen Geste beiseite und presste die Lippen aufeinander. Dieses Mal würde Moro nicht bekommen, was er wollte! Dieses Mal nicht! Die Stimme seines Begleiters keifte dicht an seinem Ohr und er ermahnte sich zur Ruhe. Unbedachtheit würde ihn nicht ans Ziel führen.
„Ihr Vater hat mir untersagt, um sie zu werben, weil ihm mein Ruf missfällt! Könnt Ihr Euch das vorstellen?!“ Rodrigo ließ von Jagos Kragen ab und starrte die enge Gasse hinunter, als erhoffe er sich von dort die Antwort auf seine Fragen. Jago hatte ihn auf dem Weg zu Signor Brabantios Palazzo abgepasst, wo Rodrigo erneut um Desdemonas Hand hatte anhalten wollen. „Er hat mir befohlen, sein Haus zu verlassen und nicht eher wiederzukommen, bis ich mich gebessert hätte!“ Rodrigo lachte freudlos. „Und dann erlaubt er diesem dreckigen Bock, seine Tochter zu besteigen!“ Jago schüttelte scheinbar bedächtig den Kopf. „Wenn ich es recht verstanden habe, weiß ihr Vater nichts von diesem Komplott. Das reine Lämmchen hat seine Eltern hintergangen.“ Rodrigo gaffte ihn mit vor Schock geweiteten, wasserblauen Augen an. „Wie kann er es wagen?“, stieß er mühsam hervor. Jago zuckte die Achseln. „Was haltet Ihr davon, wenn wir den ahnungslosen Vater informieren?“, schlug er vor und lächelte in sich hinein, als ihm klar wurde, wie elegant dieser Zug war. Denn damit würde er den verhassten Moro endlich zu Fall bringen. Als er sich die Folgen für den General ausmalte, hätte er am liebsten lauthals gelacht. Vor den Augen des Gesetzes der Republik war es ein Verbrechen, ein Mädchen zu entführen und es ohne die Zustimmung der Eltern zu heiraten. Obgleich er vermutete, dass Desdemona dem Plan zugestimmt hatte, würde es ihm vielleicht dennoch gelingen, ihre Familie derart zu erzürnen, dass sie die Schande, welche sie über ihr Haus gebracht hatte, rächen würden. Mit wenigen Worten erklärte er seinem Begleiter, was er vorhatte.
Inzwischen hatten sie – trotz Rodrigos Ausbruch – die prachtvolle Casa des Senators erreicht. Nachdem sie einen letzten Blick getauscht hatten, nickte Jago ermunternd und die beiden begannen lauthals zu brüllen: „Diebe! Diebe!“ Im Licht der Fackeln, die links und rechts der massiven Pinienholztür im leichten Nachtwind flackerten, wirkte Rodrigos teigiges Gesicht geisterhaft bleich. Der junge Spieler hatte begonnen, mit dem Griff seines Schwertes auf die Tür einzuhämmern, und nur wenige Augenblicke später vernahmen sie, wie jemand an den Läden eines Fensters hoch über ihren Köpfen herumhantierte. Die alten Flügelfenster wurden mit solcher Wucht aufgestoßen, dass sie mit einem hässlichen Geräusch gegen die Wand krachten. Ein zerzauster Schopf, auf dem eine lange, dunkelblaue Nachtmütze saß, erschien, und Signor Brabantio fragte misstrauisch: „Was geht da unten vor? Warum veranstaltet Ihr mitten in der Nacht ein solches Getöse?“ Er kniff die Augen zusammen.
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