Die Töchter der Lagune
Republik warten.“ Ehe er die hohe Doppeltür hinter sich zuschlug, warf er seinem Schwiegersohn noch einen letzten hasserfüllten Blick zu und knurrte: „Seid wachsam. Sie hat ihren eigenen Vater hintergangen, warum sollte sie nicht auch Euch zum Narren halten!“
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Venedig, vor dem Gasthof zum Sagittar, 24. Dezember 1570
„Sei unbesorgt, Liebste.“ Christoforos Hände ruhten auf Desdemonas glühenden Wangen. „Du wirst mit Jago und seiner Gemahlin nachkommen.“ Der Doge und die Ratsversammlung hatten der Bitte des jungen Paares nachgegeben, Desdemona an der Seite ihres frisch Angetrauten nach Zypern reisen zu lassen. Nachdem Brabantio den Saal verlassen hatte, war beinahe sofort die Diskussion darüber wieder aufgenommen worden, welchen Kurs sie im Hinblick auf die osmanische Flotte einschlagen sollten. Obschon Marcantonio Bragadin, der gegenwärtige Luogotenente von Famagusta, ein höchst angesehener und fähiger Kommandant war, würde er in diesen gefahrvollen Zeiten des Krieges durch Christoforo Moro ersetzt werden, welcher der erfahrenste Provveditore der gesamten Republik war. So hatte man eine Handvoll Soldaten zu der verlassenen Hochzeitskammer geschickt, um Christoforos Habseligkeiten zusammenzusuchen. Desdemona würde die Nacht in dem Gasthof verbringen, da es außer Frage stand, dass sie nach der Szene im Sala del Senato in den Palazzo ihres Vaters zurückkehrte. Angelina war von einem Diener nach Hause geleitet worden, da Signor Brabantio in seinem Leid alles um sich herum vergessen zu haben schien.
„Mir bleibt nur noch eine Stunde.“ Christoforo befreite sich sanft aus Desdemonas Umarmung. „Ich muss mich noch heute Nacht einschiffen.“ „Wann werde ich dich wiedersehen?“ Sie umklammerte seinen Unterarm mit ihren Händen. Der Kontrast ihrer weißen Finger auf seiner sonnengebräunten Haut wurde vom Licht der Fackeln, die den Eingang des Sagittar beleuchteten, hervorgehoben. „Wenn du in Zypern ankommst. Ihr werdet morgen aufbrechen.“ Sein Gesicht schien alle Schatten zu schlucken. „Ich …“, begann sie, aber ihr Gemahl hob einen Finger an ihre Lippen, um sie sanft zum Schweigen zu bringen. Das Geräusch von genagelten Stiefeln, welche die ausgetretenen Holztreppen im Inneren des Gebäudes hinabtrampelten, drang an ihr Ohr. Und Desdemona blinzelte tapfer die Tränen fort, die ihr in die Augen schossen. „Bis bald“, sagte ihr Gatte ruhig und beugte sich zu ihr hinab, um sie zärtlich auf die leicht geöffneten Lippen zu küssen. Als die Männer aus dem Gebäude traten, warf er ihr einen letzten liebevollen Blick zu, wandte ihr den Rücken und rief einige Befehle – etwas heftiger, als es nötig gewesen wäre.
Nachdem die Männer um eine Ecke in die enge Gasse verschwunden waren, gab Desdemona alle Verstellung auf, und die zur Schau getragene Selbstbeherrschung fiel von ihr ab, als sie in heftiges Schluchzen ausbrach. Die junge Braut ignorierte die helfende Hand einer Bediensteten des Gasthofes, die an ihre Seite geeilt war, und stürmte die Treppen zu ihrer Kammer empor, die sie von innen verriegelte. Nachdem sie sich aufs Bett geworfen hatte, in dem sie nur Stunden zuvor die süßesten Momente der Lust empfunden hatte, ließ sie den heißen Tränen der Enttäuschung und Furcht freien Lauf. Warum heute Nacht?, fragte sie sich bitter. Warum hatte das Schicksal ihnen nicht einmal den Vollzug ihrer Ehe gönnen können? Würde sie jemals wieder Christoforos liebkosende Hände auf ihrem Körper spüren? Alle möglichen Gefahren erwarteten ihn auf dem Weg zu der umkämpften Insel. Was, wenn er niemals dort ankam? Während sie so vor sich hin brütete und sich alle möglichen und unmöglichen Katastrophen ausmalte, die sie ihres Geliebten berauben könnten, wurde sie von einem energischen Klopfen an der dicken Eibenholztür aufgeschreckt. Was war nun schon wieder?, dachte sie ärgerlich. Konnte man sie denn nicht in Frieden lassen? Als sie nicht antwortete, wiederholte der lästige Besucher seine Bitte um Einlass – allerdings diesmal ein wenig nachdrücklicher.
„In drei Teufels Namen!“, zischte Desdemona und sprang erzürnt auf. Mit wütenden Bewegungen zog sie den schweren Riegel zurück und riss die Tür auf. „Was gibt es?“, bellte sie die vermummte Gestalt an, die nervös vor der Tür von einem Fuß auf den anderen trat. Sie hatte die Frau noch nie zuvor gesehen. Obgleich sie das Gesicht nicht richtig erkennen konnte, war Desdemona sicher,
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