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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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verliebt haben?!“ Er hatte die Stimme erhoben und schrie beinahe. „Warum sollte sie das getan haben? Ich verbürge mich dafür, dass er sie mit einem Trank in seine Gewalt gebracht haben muss.“ Einige der Senatoren waren aufgesprungen und begannen, ihre Fäuste drohend in Richtung des Angeklagten zu heben, der selbst im Angesicht dieser ungeheuerlichen Beleidigung ruhig und höflich blieb. Der Doge hämmerte mit der Faust auf den Tisch, um wieder Ordnung im Saal herzustellen. „Ruhe!“, donnerte er. „Etwas zu behaupten, beweist es noch nicht!“ Er wandte sich an Moro. „Aber sagt, Christoforo, habt Ihr durch irgendeine Hinterlist die Zuneigung dieser jungen Frau gewonnen? Oder hat sie Eurer Bitte nachgegeben?“ „Niemals!“, brüllte Brabantio und machte Anstalten, sich auf seinen Schwiegersohn zu stürzen. Zwei starke Hände hielten ihn zurück, und einer der Senatoren nahe dem Eingang hob warnend den Finger. „Ich beschwöre Euch“, bat Christoforo Moro den Dogen. „Schickt nach der Dame und lasst sie vor ihrem Vater für mich sprechen. Wenn sie etwas Schlechtes über mich zu sagen hat, nehmt mir nicht nur das Vertrauen, das Amt, das ich für Euch bekleide, sondern dehnt die Strafe auf mein Leben aus.“
     
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Venedig, Gasthof zum Sagittar, 24. Dezember 1570
     
    „Oh, Dio mio , ich bin so froh, dass du hier bist!“ Desdemona eilte auf ihre Schwester zu, die soeben die Hochzeitskammer betreten hatte, und umarmte sie mit der verzweifelten Kraft einer Ertrinkenden. „Es muss etwas passiert sein!“ Sie umklammerte Angelinas kalte Hand und drückte sie fest. „Christoforo musste mitten in der Nacht fort, und als ich ihm aus dem Fenster nachblicken wollte, erkannte ich unseren Vater. Eine Gruppe Bewaffneter war bei ihm, und sie schienen zu streiten!“ Der Anblick der Soldaten hatte sie so sehr beunruhigt, dass sie sich ihr Kleid übergeworfen hatte und die Treppen zum Vordereingang hinabgeeilt war. Als sie jedoch auf die Straße hinausgetreten war, waren die Männer bereits verschwunden. Da sie nicht gewusst hatte, was sie tun sollte, hatte sie einen Boten zu ihrer Schwester geschickt und sie gebeten, zu ihr zu kommen. Der Himmel verfärbte sich bereits grau.
     
    Angelina war überrascht gewesen, als sich eine ihrer Zofen in die Kammer gestohlen hatte, um ihr mitzuteilen, dass vor dem Haus ein Bote auf sie wartete. Sie hatte dank des vielen Weins tief und zufrieden geschlummert und von Francesco geträumt – ihrem leidenschaftlichen Kuss im dunklen Garten – und von warmen Sommertagen, weshalb sie von all dem Trubel im Haus nichts mitbekommen hatte. Mit geübten Bewegungen hatte sie sowohl Camicia als auch Korsett geschnürt und sich einen warmen Schal um die Schultern geworfen. Dann war sie auf Zehenspitzen die Treppen hinabgeschlichen, um nicht von den aufgescheuchten Mitgliedern des Haushalts – insbesondere von ihrer Mutter – entdeckt zu werden, und hatte die quietschende Vordertür aufgestemmt. Der Mann, der zitternd davor wartete, hatte ihr mitgeteilt, dass ihre Schwester nach ihr verlangte. Und nachdem sie zwei der getreuen Diener der Familie gebeten hatte, sie zu begleiten, war sie durch die dunklen Gassen geeilt, bis sie schließlich vor der hell erleuchteten Fassade des Sagittar angelangt war.
     
    „Bewaffnete Männer?“, fragte sie zweifelnd, während sie sich behutsam aus Desdemonas Umklammerung befreite und sich auf dem zerwühlten Bett niederließ. „Das kann nur bedeuten, dass unser Vater früher Wind von der Hochzeit bekommen hat, als ihr beiden geplant hattet.“ Ihr Blick wanderte zum Bett und von den weißen Laken zurück zu ihrer Schwester. „Hattet ihr wenigstens genug Zeit, um …?“ Sie musste die Frage nicht beenden, da sie die Antwort in Desdemonas enttäuschten, azurblauen Augen lesen konnte. Einen Moment lang vergaß sie den Ernst der Lage und lachte schnaubend. „Entschuldige“, keuchte sie. „Ich habe mir nur gerade die Situation vorgestellt.“ Desdemona sah sie scharf an – ihr Mund eine dünne Linie der Missbilligung. „Du könntest die Angelegenheit ruhig ein wenig ernster nehmen“, ermahnte sie ihre sorglose Schwester. Bevor sie jedoch fortfahren konnte, wurden sie vom Geräusch gedämpfter Stimmen und im Gleichschritt auftretender Stiefel unter ihrem Fenster abgelenkt. Desdemona eilte hinüber und lugte durch die getönten Butzenscheiben. „Es ist Jago mit ein paar Soldaten“, rief sie aufgeregt aus.

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