Die Töchter der Lagune
Türken, den Elissa für den Kapitän des Schiffes hielt. Die Verzierungen auf seinem königsblauen Kaftan waren in Gold gewirkt und reflektierten bei jeder Bewegung das gleißende Sonnenlicht. Der weiße Turban über dem sonnengebräunten Gesicht ließ ihn noch größer erscheinen, als er sowieso schon war. Er rief einer Gruppe von jungen Matrosen ein paar ärgerliche Worte zu, woraufhin diese unverzüglich die dicken Taue, welche sie hatten aufrollen wollen, fallen ließen und auseinanderstoben. Ein jeder von ihnen steuerte auf eine der zahllosen Strickleitern zu, die in die Wanten hinaufführten. Mit der Behändigkeit von Affen zogen sie sich an den geteerten Seilen empor und stießen sich mit den nackten Füßen ab, während die Taue im Wind hin und her schwangen. Einen kurzen Augenblick lang vergaß Elissa ihre Lage und folgte – fasziniert von der Furchtlosigkeit der Matrosen – dem Aufstieg mit aufgerissenen Augen. Ihr wurde schon schwindelig, wenn sie ihnen von Deck aus zusah.
Eine grobe Hand, die sich um ihren Unterarm schloss, riss sie aus ihren Betrachtungen. Obgleich sie die Worte, die der Mann knurrte, nicht verstand, wusste sie, dass sie ihm folgen sollte. Seine Haut hatte einen dunklen Braunton, und das Weiß seiner beinahe schwarzen Augen blitzte unter einem nicht mehr ganz sauberen Turban hervor. Mit einem Ruck zerrte er sie auf eine niedrige Luke zu, die in den Rumpf des Schiffes führte. Sie folgte ihm stolpernd und verrenkte sich den Kopf, um herauszufinden, warum einige der Gefangenen hinter ihr begonnen hatten, jammernd zu heulen. Eine der Sklavinnen ließ sich auf die Knie fallen und weigerte sich, weiterzugehen. Der Sklaventreiber hob seine schreckliche Peitsche und begann, auf die gefesselte Frau einzuprügeln, die einen schrillen Schrei ausstieß und anfing, in gebrochenem Italienisch zu flehen: „Bitte nicht unter Deck, nicht runter!“ Vor Wut schäumend, riss der Mann sie von den salzverkrusteten Planken hoch und schüttelte sie brutal. „Geh! Oder du wirst an den Mast gebunden!“ Obwohl sie immer noch vor Furcht zitterte, tat die Drohung, für viele Tage sowohl den erbarmungslosen Elementen als auch den gierigen Händen der Seeleute ausgeliefert zu sein, ihre Wirkung und sie stolperte weiter.
Die Kühle, die Elissa im Bauch des Schiffes erwartet hatte, stellte sich als eine Täuschung heraus. Anstatt die drückende Hitze zu mildern, verschlimmerten der Gestank und die Stickigkeit im Rumpf die Dinge noch. Das Bedürfnis, saubere und frische Luft zu atmen, schnürte Elissa augenblicklich die Kehle zu, doch ihr Bewacher stieß sie unerbittlich tiefer in die schwarzen Eingeweide der Karavelle. Kein Licht außer den Fackeln erhellte die pechschwarze Düsternis, die beinahe greifbar wirkte, und die tanzenden Flammen malten unheimliche Schatten auf die Seiten des Schiffes. Nach einigen Schritten kam die Prozession zum Stehen, und einer der Männer öffnete eine dicke Eichenholztür mit einem Schlüssel, der an einem Eisenring klirrte. „Los, rein!“, knurrte er, und die Treiber am Ende der Schlange stießen die Männer und Frauen grob auf das gähnende Loch zu. Elissa stolperte und schlug hart auf dem Boden auf. Sie landete neben einem schmutzigen Strohhaufen, der nach Urin stank. Vor Abscheu schaudernd kroch sie von ihm fort auf das andere Ende der winzigen Zelle zu, bis sie mit etwas Weichem zusammenstieß. „Mit Rücken an Wand!“, rief eine der Wachen in schlechtem Italienisch. Nicht jeder verstand den Befehl, doch die Männer machten mit Tritten und Schlägen klar, was sie erwarteten. Als alle Gefangenen in einer Reihe an den schleimigen Brettern lehnten, hörte Elissa das Rasseln von Ketten, und Sekunden später spürte sie, wie sich eiserne Fesseln um ihre Knöchel legten. Bevor sie verstand, was vor sich ging, hatte einer der Männer eine dünne Kette durch den Ring gefädelt und ihren linken Fuß an den rechten Fuß eines kleinen Jungen neben ihr gekettet. Als sie damit fertig waren, nahmen die Matrosen ihre Fackeln aus den Haltern und schlugen die Tür hinter sich zu. Schlüssel rasselten im Schloss und das Geräusch eines Riegels, der über Holz schoss, hallte von den Wänden wider. Dann versank alles in Stille. Die einzigen Geräusche, die Elissa in dem grauenhaft stinkenden Gefängnis vernehmen konnte, waren das Plätschern der Wellen und das verängstigte Wimmern einiger Gefangener.
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Zypern, auf den Zinnen über dem Seetor von Famagusta, Januar
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