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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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1571
     
    Marcantonio Bragadin beobachtete nervös die aufgewühlte See. Er hatte gehört, dass die Verstärkung, die der osmanische Aga geschickt hatte, Kurs auf Larnaka genommen hatte. Seine Spione hatten ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass die Flotte nur noch wenige Tage entfernt war. Seitdem erklomm er jeden Tag die Zinnen, um nach Segeln Ausschau zu halten. Es war eine Frage von Leben und Tod, ob die venezianischen Schiffe das Rennen gegen die feindliche Flotte gewannen oder nicht. Wenn der Provveditore aus Venedig, sein alter Freund Christoforo Moro, verspätet eintraf, war ihre Sache verloren.
     
    Die Stimmung in der riesigen, von Mauern umgebenen Stadt war angespannt, da die Menschen das Schlimmste befürchteten. Ein jeder setzte seine Hoffnungen in den General und sein Regiment erfahrener Kämpfer. Die täglichen Angriffe der Belagerer zeigten langsam die erwünschte Wirkung, da sie den Kampfgeist der in Famagusta stationierten Truppen untergruben. Obschon die massiven Mauern und Wälle weit davon entfernt waren, zu bröckeln, nagte der unermüdliche Donner der feindlichen Kanonen an den Nerven der Eingeschlossenen. Noch boten die modernisierten Befestigungsanlagen ausreichend Schutz. Mit ihren fünfzehn Bastionen, den hohen Mauern, Schutzwällen und Gräben war Famagusta ein Bollwerk, das vor zwölf Jahren von dem angesehenen Festungsbauer Giovanni Girolamo Sanmichele gemäß der neuesten Theorien des Verteidigungsbaus erneuert worden war. Der Festungsbauer aus Venedig hatte den großen Wall entlang der Küste – vom Arsenal bis zur Zitadelle, von der aus Marcantonio soeben die unruhige See betrachtete – errichten lassen, und die Kernfeste komplett mit einer neuen Schutzmauer umgeben lassen. Von der Burg aus hatte er den Wall an der Nordseite der Stadt entlang bis hin zur Martinengo Bastion an Famagustas Nordwestende ausgedehnt. Diese Bastion, der krönende Abschluss von Sanmicheles Werk, stand auf einer Felserhebung, und ihre Kanonen waren dazu in der Lage, sowohl den in Stein gehauenen Stadtgraben zu beiden Seiten als auch die felsigen Abhänge hinab zum Meer zu bestreichen. Nur zwei Tore, die Porta de Limassol, das Landtor, und die Porta del Mare , das Seetor, ermöglichten den Zugang zu der ansonsten hermetisch abgeriegelten Stadt. Im Inneren der Schutzwälle waren einerseits riesige Magazine untergebracht, die für gewöhnlich mit Tausenden von Pulverfässern vollgestopft waren, andererseits auch Schutzbunker und sogar Quartiere für die venezianischen Soldaten. Tiefe, nach oben hin offene Schächte dienten dem Druckausgleich bei einem Treffer durch Kanonenkugeln.
     
    Und dennoch fühlten sich die Einwohner von Famagusta nicht mehr sicher. Zwar hatten die Mauern den Angriffen bisher weitgehend unbeschadet standgehalten, doch wenn die Türken sie weiterhin mit unverminderter Gewalt bombardierten, würden sie früher oder später zusammenbrechen.
     
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Das Mittelmeer, an Bord eines venezianischen Schiffes, Januar 1571
     
    „Es ist alles so aufregend!“, rief Angelina begeistert aus. Der starke Wind zerrte an ihrem Haar, während sie mit zusammengekniffenen Augen den Horizont nach weiteren Karavellen absuchte. Ihres war das letzte Kriegsschiff gewesen, das aus dem Hafen ausgelaufen war, und sie fragte sich, ob sie die anderen elf Schiffe vor ihrer Ankunft in Famagusta würden einholen können. Ihre Karavelle war mit dem Löwenanteil des Proviants sowie mit mehreren Dutzend Schlachtrössern beladen worden. Angelina hatte sich insgeheim gefragt, warum die Männer die lebenden Tiere, die gepökelten Schweineschultern, den Schinken und die Getreidesäcke nicht gleichmäßig auf alle Schiffe verteilt hatten. Schließlich würden die Belagerten hungern müssen, wenn ihre Karavelle auf dem Weg nach Zypern sank. Aber sie hatte nicht gewagt, jemanden zu fragen, da sie befürchtete, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
     
    Sie waren die Straße von Otranto entlanggesegelt, welche die Adria mit dem Ionischen Meer verband, bis sie einen Blick auf die in Dunst gehüllte Landmasse der Peloponnes erhaschten, wo sie sich vom Rest der Flotte getrennt hatten. Und nun tastete sich das Schiff vorsichtig durch die rauen und gefährlichen Wasser des Kap Tänarum, während mehrere Seeleute die Anzahl der Faden ausriefen, die sie maßen. Einer der Männer hatte ihr gesagt, dass der Kapitän beschlossen hatte, diese Route zu wählen, anstatt wie die übrigen Schiffe an Kreta vorbeizusegeln, da in diesen Wassern

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