Die Töchter der Lagune
das nicht Cassio, der sich eben von meiner Frau verabschiedet hat?“, wollte er wissen. „Cassio, Signore ?“, erwiderte Jago mit geheucheltem Erstaunen. „Nein, sicherlich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich so heimlich davonstehlen würde.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Ich glaube, er war es doch“, bestand Christoforo auf seiner Feststellung und musterte Jago prüfend. Dieser war abrupt stehen geblieben und nagte scheinbar nachdenklich an seiner Lippe. Dann zog er die Brauen zusammen und blickte Christoforo forschend an.
„Kannte Michele Cassio Eure Gemahlin, bevor er sie hier traf?“, fragte er. Christoforo nickte. „Oh, ja. Er war bei unserer Hochzeit dabei.“ „Tatsächlich?“ „Was tatsächlich ? Findet Ihr etwas daran? Ist er nicht aufrichtig?“ Christoforo begann, nervös zu werden. Als Jago nicht sofort antwortete, drängte er: „Euer Zögern macht mir Angst. Bei einem unaufrichtigen Mann ist es ein Zeichen von Falschheit und Verrat, wenn er schweigt. Aber ich weiß, dass Ihr aufrichtig seid.“ „Ich nehme an, er ist ehrlich“, bekannte Jago schließlich zögernd, nachdem er einige Herzschläge lang in die Ferne gestarrt hatte. „Denkt Ihr das wirklich?“, drängte Christoforo. „Seid offen zu mir.“ Jago schüttelte bedächtig den Kopf. „Es wäre nicht recht, Euch meine Gedanken zu verraten. Sie könnten durch falsche Beobachtungen und Vorurteile fehlgeleitet sein.“ Seine Augen schossen zurück zu der Stelle, an der Emilia und Desdemona kurz zuvor noch gestanden hatten. „Sagt mir, was Ihr denkt! Das ist ein Befehl!“ Christoforos Stimme hatte einen gefährlich ruhigen Ton angenommen, er war auf den Major zugetreten und überragte den kleineren Mann nun wie ein Felsen.
„Seid auf der Hut vor Eifersüchteleien“, beschied Jago schließlich rätselhaft, nachdem er sich mit einem Seufzen am Kinn gekratzt hatte. „Eifersucht, wieso Eifersucht?“ Der Wunsch, Antworten auf seine ungestellten Fragen zu erhalten, weitete Christoforos Augen. „Ich bin kein eifersüchtiger Mann!“, brauste er auf. „Es macht mich nicht eifersüchtig, wenn Ihr sagt, meine Gemahlin ist schön, singt, spielt und tanzt gut und liebt Gesellschaft. Ich zweifle nicht an ihrer Treue.“ Er deutete mit Zeige- und Mittelfinger auf seine Augen. „Ich muss sehen, bevor ich zweifle. Und wenn ich zweifle, brauche ich Beweise. Und ich habe den Beweis, dass sie mich liebt!“ Jago legte ihm die Hand auf den Arm und lächelte. „Ich bin froh, das zu hören. Jetzt kann ich offener mit Euch sprechen.“ Als Christoforo ihm einen verwirrten Blick zuwarf, fuhr er fort. „Ich rede noch nicht von Beweisen“, beschied er ernst. „Aber beobachtet Eure Gemahlin und Cassio gut. Ohne Vorurteil – seid einfach nur aufmerksam. Ich möchte nicht, dass Eure Liebe missbraucht wird.“ Christoforo schüttelte in leisem Protest den Kopf, nicht gewillt zu glauben, was diese Warnung andeutete. Als er nicht sofort etwas darauf erwiderte, setzte Jago hinzu: „Sie hat doch auch ihren Vater betrogen oder etwa nicht?“ Einen Moment lang sah es so aus, als ob er zu weit gegangen wäre, da Moros Hand zu seinem Schwert zuckte. Doch dann verengten sich die Augen des Generals und wanderten zu der Stelle im Hof zurück, die nun verwaist dalag.
Kapitel 24
Latakia, der Hafen, März 1571
Es schien, als habe sich der Tag zu diesem besonderen Anlass in sein bestes Gewand gehüllt. Der Himmel strahlte in einem funkelnden Azurblau, und das fruchtbare Umland der ehrwürdigen Stadt in der Mitte der Halbinsel empfing die osmanische Armee mit scheinbar offenen Armen. Seine sanft gewellten Hügel, deren Abhänge bis zu den Gipfeln von Weinbergen geteilt wurden, erstreckten sich weit bis in den Osten – beinahe bis nach Apamea. Der Marsch von Antalya bis in die Region um Latakia, die häufig von schrecklichen Erdbeben verwüstet wurde, war schneller verlaufen, als Mustafa Pascha zu hoffen gewagt hatte. Beinahe schien es, als hätte sich das Schicksal gewendet und ihr Pech im Licht der warmen Frühlingssonne schmelzen lassen. Sie würden in der Nähe des Hafens, der auf den Fundamenten antiker Säulen erbaut worden war, ihr Lager aufschlagen. Sie stellten neben einem alten Triumphbogen die letzten Überbleibsel des glorreichen Römischen Reiches dar. Die Gegend hatte schon viele Herren kommen und gehen sehen. Doch der wichtigste Wendepunkt in ihrer Geschichte war das Jahr 1188 gewesen, in dem der Sultan
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