Die Töchter der Lagune
einem ernsten Ausdruck in den blauen Augen an. „Und wann habt ihr vor zu heiraten?“, fragte sie ruhig. „Ach!“ Angelina winkte wegwerfend ab. „Das eilt nicht. Aber wir sind verlobt, sieh nur!“ Sie streckte Desdemona die Rechte entgegen und zeigte ihrer Schwester stolz ein Band aus geflochtenen Grashalmen. „Er hat es mir vor zwei Tagen gegeben. Nachdem er von seiner Wache auf der Martinengo Bastion zurückkam. Dort gibt es eine große Wiese mit vielen Wildblumen und Schösslingen.“
Desdemona nahm ihre Hand, um einen genaueren Blick auf das kunstvolle Geschenk zu werfen. Es war wunderschön, und sie war sicher, dass Francesco mit ganzem Herzen bei der Sache gewesen war. Aber nichtsdestotrotz musste ein Skandal vermieden werden. Und als Angelinas ältere Schwester oblag ihr die Aufgabe, ihre Eltern zu vertreten, die ja weit weg in Venedig waren. „Ich möchte, dass du am Sonntag nach der Messe mit Pater Antonio sprichst“, sagte sie streng. Wie jeden Sonntag würden sie auch diese Woche dem Gottesdienst in St. Georg beiwohnen, um der beruhigenden Predigt des ansässigen Priesters zu lauschen. „Ihr werdet heiraten müssen, bevor du schwanger wirst“, drängte sie, obwohl der Gedanke, den sie während der vergangenen Tage erfolgreich verdrängt hatte, sie schmerzte wie ein Schlag ins Gesicht. Sie war furchtbar enttäuscht gewesen, als vor zwei Wochen ihre Monatsblutung eingesetzt hatte, sobald der Mond wie eine vollkommene Scheibe am Frühlingshimmel hing. Und es war nicht so, dass sie es nicht ernsthaft versuchten!
Bevor Angelina protestieren konnte, wurden sie unterbrochen. „ Signora, Signora !“ Emilia, die die Treppen hinaufgerannt zu sein schien, stürzte keuchend in den Raum. „Cassio lässt fragen“, sie hielt kurz inne, um nach Luft zu schnappen, „ob Ihr ihm die Ehre erweisen würdet, ihn zu empfangen.“ Sie holte ein paar Mal Atem, bevor sie fortfuhr. Ihr hübsches Gesicht mit den großen Augen hatte die Farbe reifer Erdbeeren. „Er wartet im Hof auf Euch.“ Ihr Gemahl Jago hatte nach ihr geschickt, und als sie seine Unterkunft betreten hatte, war sie auf Cassio gestoßen, der nervös sein Barett in den Händen geknetet hatte. Er hatte sie darum ersucht, anzufragen, ob ihre Herrin ihn empfangen würde. „Aber natürlich will ich ihn sehen.“ Desdemona strich geistesabwesend ihren Rock glatt. „Schick ihn in die Halle. Ich werde in ein paar Minuten bei ihm sein.“ Sie bedachte ihre Schwester mit einem ironischen Blick. „Aber ich nehme an, ich sollte erst dafür sorgen, dass ich wieder anständig aussehe.“ Mit diesen Worten raffte sie die Röcke und begann, die Treppen hinabzusteigen.
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Cassio hatte während der vergangenen Wochen immer wieder mit sich gerungen, ob er wie von Jago vorgeschlagen an die Gemahlin des Generals herantreten sollte oder nicht. Er hatte den Major am Morgen kurz gesprochen, und Jago hatte ihn gedrängt, den Feldzug zur Wiederherstellung seiner Ehre endlich anzugehen. Er hatte versprochen, den General von der Zitadelle fernzuhalten, sodass Cassio in Ruhe mit Desdemona sprechen konnte. Und nun maß er nervös den ausgetretenen Steinboden der großen Halle, in der sie ihre sichere Ankunft gefeiert hatten, mit Schritten aus –zweifelnd, ob er das Richtige tat.
„Cassio!“ Er wirbelte herum, um die Herrin der Zitadelle zu begrüßen. Wie immer versetzten ihn ihre täglich wachsende Schönheit und ihr Liebreiz in bewunderndes Erstaunen. Als sie ihm die Hand zum Gruß darbot, beugte er sich darüber und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken, wobei er sich betreten der Größe seiner eigenen Pranke bewusst war. „ Signora , vergebt meine Kühnheit …“ Desdemona hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Mein lieber Cassio, ich weiß, was Euch auf der Seele brennt. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr und mein Gemahl wieder zu der freundschaftlichen Beziehung zurückfindet, die Euch vor diesem unglückseligen Vorfall verbunden hat.“ Sein gutaussehendes Gesicht wirkte seit dem Zerwürfnis mit Christoforo Moro abgespannt, die ehemals glänzenden Augen stumpf, das schwarze Haar lang und ungepflegt. „Was auch immer geschehen mag“, murmelte er mit niedergeschlagenen Augen. „Ich werde immer Euer Diener sein.“ „Oh, kommt, Signore , verzweifelt nicht!“ Desdemona hakte sich energisch bei ihm unter und lotste ihn auf die schwere Eichentür zu, die in den sonnigen Hof hinausführte. Dort war Emilia damit beschäftigt,
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