Die Töchter der Lagune
einige der alten Decken, die Angelina in der verlassenen Kammer aufgestöbert und ihr in die Hände gedrückt hatte, zum Auslüften aufzuhängen. „Mein Gemahl schätzt Euch sehr. Er kennt Euch schon lange und ist sich Eurer Verdienste sehr wohl bewusst.“ Sie tätschelte ihm beruhigend die Schulter. „Der Grund, aus dem er Euch im Moment Euer Amt nicht zurückgeben kann, ist ein rein politischer. Marcantonio Bragadin ist ein hoch angesehener Mann. Ihr habt einen ernsten Fehltritt begangen, indem ihr ihn verwundet habt.“ Sie hatten den der See zugewandten Teil der inneren Befestigungsanlagen erreicht, der höher lag als all die anderen Mauern und Wälle, und von dem man aus den gesamten Hafen überblicken konnte. Cassio starrte auf die sich sanft kräuselnden Wellen tief unter ihnen und dachte über die Bedeutung dessen, was Desdemona gerade gesagt hatte, nach. „Aber die Politik könnte so weit gehen, dass er vergisst, wie sehr ich ihm ergeben bin, jetzt da ich meinen Posten nicht mehr bekleide“, bemerkte er düster.
„Das bezweifle ich ernsthaft“, erwiderte Desdemona ruhig. „Emilia, sei mein Zeuge“, wandte sie sich an ihre Zofe, die nur einige Schritte von ihnen entfernt den gröbsten Schmutz aus den wollenen Decken klopfte. „Ich garantiere Euch, Cassio, dass Ihr Euren Posten zurückbekommt. Als Eure Freundin betrachte ich es als meine Pflicht, Euren guten Ruf bei meinem Gemahl wieder herzustellen.“ Cassio starrte sie ungläubig an. Dann wanderte sein Blick zu Emilia – die von dem kühnen Versprechen ihrer Herrin unberührt zu sein schien – ehe er zu Desdemonas ernstem Gesicht zurückstreifte. „Ich werde sein Urteil mildern und das Thema zur Sprache bringen, wann immer ich ihn sehe.“ Sie nahm eine seiner starken Hände zwischen die ihren. „Verzweifelt nicht, Cassio. Ich werde Euer Anwalt sein. Und ich will eher sterben, als Eure Sache aufzugeben!“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Hört auf Trübsal zu blasen und seid frohen Mutes! Es herrscht genug Angst in dieser Stadt.“ Cassio wagte kaum, seinen Ohren zu trauen. Sollte sein Problem wirklich so leicht aus der Welt zu schaffen sein? „Kommt“, forderte Desdemona ihn auf. „Ihr könnt mir Gesellschaft leisten. Ich fange allmählich an, mich hier zu langweilen und freue mich über ein wenig Ablenkung.“ Sie zog ihn in Richtung Rosengarten. „Ihr habt nicht zufällig etwas zu lesen, das Ihr mir borgen könntet?“ Beinahe eine Stunde verbrachten sie plaudernd in dem kleinen Garten, ehe sie in den Hof zurückkehrten. Dort war Emilia inzwischen mit dem Bürsten von Kleidern beschäftigt, die Desdemona schon lange nicht mehr getragen hatte. „Kommt, wann immer Euch der Sinn danach steht“, ermutigte Desdemona ihren Besucher. „Ihr seid jederzeit willkommen.“
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Zypern, auf den Zinnen von Famagusta, März 1571
„Noch ein paar Steinquader um das Tor herum, dann sollte es halten“, befahl Christoforo Moro, bevor er dem Mann, der hinter ihm stand, wieder seine Aufmerksamkeit zuwandte. Sie standen auf den Zinnen über der Porta de Limassol , dem Landtor, das während des ununterbrochenen Beschusses durch die Osmanen den meisten Schaden davongetragen hatte. Als einer der beiden Zugänge zu der ansonsten hermetisch abgeriegelten Stadt verdiente das Landtor seine besondere Aufmerksamkeit. Wenn der ernsthafte Sturm auf die Befestigungsanlagen einsetzte, würde er sich sicherlich auf diesen Teil konzentrieren.
Obwohl es der Sonne inzwischen gelungen war, die dicken, regenschwangeren Wolken zu vertreiben, waren die Blüten und Blätter der Bäume immer noch schwer von Regentropfen, unter deren Gewicht sich die Äste und Zweige bogen. Dadurch entstanden natürliche Torbogen, die sich jedoch wieder aufrichten würden, sobald das Wasser abtrocknete. In der Ferne konnte Christoforo sehen, wie die Feuchtigkeit in dicken Nebelvorhängen zum Himmel aufstieg. Am Tag zuvor war ein Schiff aus Venedig im Hafen eingelaufen, das Briefe, neue Anweisungen und weitere Informationen gebracht hatte. Die osmanische Armee, die offenbar aus 150 000 Männern bestand – einer entmutigenden Zahl, wenn man die Soldaten, die bereits auf Zypern stationiert waren, hinzuzählte – war auf dem Weg nach Latakia. Dem Hafen in Syrien, von dem aus sie Kurs auf die Insel nehmen würden. Dies bedeutete, dass den Verteidigern die Zeit knapp wurde!
„Jago“, wandte sich Christoforo an den Major. „Lasst dem Kapitän der
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