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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Brantenberg
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Herrlein Uglemose?“
    Er merkte, daß jemand hinter ihm stand. „Na, hast du eine Einladung bekommen?“ Es war Lehrerin Ei. Er wußte nie, ob Lehrerin Ei ironisch oder nur dumm war. Neugierig war sie jedenfalls. Herrlein Uglemose schaute sie fragend an und fühlte sich sogleich unsicher. War das eine Einladung? Wußte Lehrerin Ei etwas darüber? Oder war die Frage nur aus der Luft gegriffen, um ihm deutlich zu machen, daß er für eine Einladung selbstverständlich nie in Frage kam? Auch wenn Lehrerin Ei nicht Vertrauenslehrerin und auch nicht mit besonderen Aufgaben ausdrücklich betraut worden war, kannte sie doch alle Geheimnisse der Schulverwaltung. Herrlein Uglemose war davon überzeugt, daß sie auch sämtliche, ihn persönlich betreffenden Details kannte. Auch solche, von denen er selbst noch nicht einmal etwas wußte. „Nein, nicht direkt eine Einladung“, murmelte er. „Na, dann vielleicht einen kleinen Liebesbrief? Ha, ha, ha. Ja, dam wird nie zu alt. Ha, ha, ha.“
    Die Lehrerin klopfte ihm leicht auf die Schulter und verschwand. Den ganzen Tag ging er herum und überlegte, was in aller Welt die Rektorin von ihm wollen könne. Er befürchtete das Schlimmste. Es war immer sicherer, das Schlimmste zu befürchten. Das hatte ihn seine lange Lebenserfahrung gelehrt. Auf der anderen Seite war die Rektorin eine äußerst förmliche Person. Selbst die angenehmsten Dinge konnte sie zunächst einmal ganz nüchtern und belanglos vorbringen. Herrlein Uglemose war auf alles gefaßt.
    In all den Jahren hatte es die Rektorin geschafft, ihr Verhältnis auf einer sehr formellen Ebene zu halten. In der ersten Zeit hatte er noch versucht, aus ihrem strengen Blick ein verliebtes Augenzwinkern herauszulesen. Damals glaubte er noch, daß aus ihnen etwas werden könnte. Diese Zeit war längst vorbei. Syprian war groß geworden, und er war nicht sein Sohn. Syprian war Grodrians Sohn. Für immer und ewig. Dagegen war nichts zu machen. Auch wenn alle sehen konnten, daß Syprian Herrlein Uglemose wie aus dem Gesicht geschnitten war. Syprian war, je länger er herumlief, der lebende Beweis für seine Schmach. Herrlein Uglemoses Unterricht war an diesem Tag noch schlimmer als je. Er lief dauernd rot an und kam bei der kleinsten Frage aus dem Konzept. Selbst das leiseste Räuspern empfand er als Kritik, und die letzte Stunde in der 4 B war ein Alptraum. Ba Bram stellte sich auf den Schultisch, spielte Politikerin und rief zur Solidarität mit den Arbeiterinnen auf. Die Schülerinnen applaudierten und lachten. Nicht eine einzige kümmerte sich dämm, daß er an der Tafel stand und ein matriotisches Gedicht aus dem vergangenen Jahrhundert interpretieren wollte. Es war eigentlich ein schönes Gedicht; damals, als das Herrlein selbst Schüler war, hatte es ihn mächtig beeindruckt. Im Gegensatz zu den meisten im Kollegium erinnerte sich nämlich Herrlein Uglemose, wie es damals war, als er noch zur Schule ging.
    Das Gedicht handelte davon, was dam fühlte, wenn dam vom Meer aus an die langgestreckte Küste Egalias kam. Dam fühlte, daß sich hier — ernst in der Morgenröte — die Wibschen festgesetzt und mit Fleiß und Demut im Glauben an ihre Donna Klara ein wibschenwürdiges Dasein für sich und die Ihren geschaffen hatten. Die Grundlage für die Größe Egalias lag in dieser Plackerei. Aber vor allem in der Wibschenwürde. Wenn die Wibschenwürde die Frauschaft über die Sinne der Wibschen errang und jede noch so kleine Seele auf der Welt erfaßte, würde Egalia — unser Mutterland — für ewig seine Größe bewahren.
    Tief ergriffen hatte Herrlein Uglemose damals versucht, das Gedicht zu vertonen, und spielte es in seinen einsamen Stunden auf dem Flügel. Dort saß er, allein, in der großen, einsamen Villa auf dem Plattenberg, klimperte und träumte vor sich hin. Er hatte es nie gewagt, das Stück anderen vorzuspielen. Es wäre zu angeberisch gewesen, denn er hatte es ja selbst komponiert. Ab und zu hatte er herausfinden wollen, ob Kornmarken, seine Gärtnerin, ihn nicht spielen hörte, wenn im Sommer die Tür zur Veranda offenstand und sie direkt vor ihm mit den Obstbäumen beschäftigt war. Aber Kornmarken sagte nichts dazu, wie sie überhaupt selten etwas sagte. Und er wagte nicht, danach zu fragen. Es war eine schöne, kleine Melodie, fand er. Er spielte sie in d-Moll.
    Eigentlich war er ja nie vom Meer aus zur langgestreckten Küste Egalias gekommen. Und das war es auch nicht, was ihn ergriffen hatte, sondern die

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