Die Toechter Egalias
auf einmal etwas, was sie vor langer Zeit für diese einsame Wibsche hier empfunden hatte. Damals, einen flüchtigen Moment in einer Sommernacht im Eichenwald vor der Maibucht. Das war er. Sie erkannte ihn wieder. Sie war hier an seiner Seite jahraus, jahrein vorbeigegangen, ohne auch nur ein einziges Mal daran zu denken. Sicher handelte es sich dabei um das, was die Chefpsychologin Egalias, Signe Freudis, Verdrängung nannte.
Aber sie hatte sich durch seine ungestüme und offenkundige Verliebtheit bedrängt gefühlt. Für sie war es nur eine Juninacht. Vielleicht waren es auch mehrere. Doch sie erinnerte sich bloß an eine. An jene Juninacht, als sie von dem Sohn der Trainerin, den sie so liebte, abgewiesen wurde, niedergeschlagen zu Lisello ging und ihn in den Wald mitnahm. Dann hatte sie mit ihm geschlafen. In dieser Nacht ist Syprian in ihr entstanden. Sie hatte es ihm sofort erzählt. Er war überglücklich und stammelte: „Endlich weiß ich, wofür ich lebe!“, doch sie hatte etwas kühl geantwortet, sie wisse das noch nicht, denn der Sohn der Trainerin sei noch im Geschäft. Genau das hatte sie gesagt. Der Sohn der Trainerin sei noch im Geschäft. Dann sah sie die Verzweiflung in seinem Gesicht — die Verzweiflung und Erniedrigung. Er hatte sich an sie geklammert und gebettelt. „Was soll ich machen? Was meinen Eltern sagen, meiner Mutter, der Moralhüterin in dieser Stadt? Sie wird das nicht überleben!“ Und sie hatte ziemlich rücksichtslos geantwortet, er könne wirklich nicht erwaren, ihr Vaterschaftspatronat zu bekommen, nur weil seine Mutter Rektorin und „Hüterin der Moral“ war. Den Ausdruck „Hüterin der Moral“ hatte sie ihm fast buchstäblich vor die Füße geschleudert. Und jetzt saß sie hier und schwang sich vor ihm zur „Hüterin der Moral“ auf. Die Verbindung mit Lisello Uglemose hatte der jungen Barmerud die Nachfolge der alten Rektorin Uglemose gesichert. Nachdem die kritische Phase vorüber war, hatte sie den Sohn abgewiesen. Sie hatte das halbe Reich bekommen, sich aber den Prinzen erspart. Haha!
„Woran denkst du?“ fragte er.
„An nichts.“
Sie biß die Zähne zusammen. Das Gespräch war anders als von ihr geplant verlaufen. Eigentlich hatte sie überhaupt nicht damit gerechnet, daß ein Gespräch zustande kommen würde. Sie begriff, daß sie einen administrativen Fehlgriff begangen hatte. Sie mußte Herrlein Uglemose so schnell wie möglich loswerden, bevor das Ganze mit Heulen und Zähneklappern endete.
„Du lügst“, sagte er,
„Du hast recht. Alles, was du gesagt und gedacht hast, ist richtig. Die Welt hat dich ungerecht behandelt, aber so ist das Leben, Lisello. Was können wir machen, um das zu ändern? Kannst du mir das sagen?“
„Ich habe dich geliebt, Gerd. Und ich habe unser Kind geliebt. Und jetzt willst du mir nicht einmal sagen, wie es ihm geht.“
Rektorin Barmerud atmete schwer. Syprian war eigentlich keiner, den dam besonders beachtete. An seinem ersten Einführungsball hatte Syprian die meiste Zeit dagesessen und auf die tanzenden Paare gestarrt. Er hatte sich Grobheiten von einer besoffenen Person gefallen lassen müssen, die ihn noch nicht einmal mit auf ein Einfühmngszimmer nehmen wollte. Grodrian hatte ihm das erzählt. In einem Punkt war Syprian allerdings durchaus geglückt: Er hatte einen scharfen Verstand. Syprian glich seinem Vater bis auf I-Tüpfelchen. Ihm wird einmal das gleiche Los wie Herrlein Uglemose beschieden sein, nämlich ein später Knabe zu werden.
Rektorin Barmerud erhob sich unwirsch. Sie durfte sich nicht in Sentimentalitäten über das Los der Männer in dieser Welt verzetteln. Sie blickte über ihr rauhes Doppelkinn auf das Herrlein herunter.
„Zurück zur Sache ! , Es ist die Aufgabe jeder Zivilisation, das Unrecht der Natur auszugleichen.’ Das war doch der Ausgangspunkt Ihrer Stunde, Herrlein Uglemose, wenn ich richtig informiert bin. Was bedeutet das? Es scheint, als hätten Sie vergessen, was Sie in Ihrer Jugend gelernt haben. Das — Unrecht der Natur besteht darin, daß Männer nicht das Privileg haben, Kinder zu gebären. Das heißt, daß der Mann im Lebensprozeß eine ganz untergeordnete Funktion hat. Wie das ja auch unsere kleine Affäre vor einiger Zeit deutlich gemacht hat. Das müssen wir zugeben. Wie gesagt: eine völlig untergeordnete Funktion. Von seiten der Natur ist der Mann auch nicht dazu bestimmt. Leben zu wahren — ja nicht einmal, es zu erhalten. Dies ist das biologische Schicksal,
Weitere Kostenlose Bücher