Die Tore Der Finsternis
im Stehen einzuschlafen schien. Rebus hatte Sympathie für diesen Mann empfunden, so wie für die meisten Dinge damals - frisch verheiratet, die erste Eigentumswohnung und Rhona, die Kinder wollte …
Und dann, ein oder zwei Wochen vor dieser Sache mit dem Becher Tee, war Rebus selbst dieser Mann geworden, um die fünfzig, mit glasigem Blick, der sich an denselben Laternenpfahl klammerte und dem das Überqueren der Straße wie ein schier unüberwindliches Hindernis erschien. Eigentlich war er bei Jean zum Abendessen verabredet gewesen, hatte sich dann aber in der Oxford Bar so wohl gefühlt, dass er kurz vor die Tür gegangen war, um Jean am Telefon etwas vorzulügen. Er vermutete, dass er später zu Fuß in die Arden Street zurückgelaufen war, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern. Hielt irgendwann den Laternenpfahl umklammert und lachte bei der Erinnerung an den anderen Mann. Ein Nachbar wollte ihm helfen, aber Rebus packte den Pfahl nur noch fester und brüllte, er sei nutzlos, er tauge nur noch dazu, am Schreibtisch zu sitzen und zu telefonieren.
Seitdem konnte er dem Nachbarn nicht mehr in die Augen schauen.
Nach dem Frühstück ging er auf eine Zigarette vor die Tür und bemerkte die Menschenmenge auf dem Trainingsplatz. Ein Großteil des Polizeinachwuchses hatte sich dort versammelt. Die CID-Kollegen in spe hatten die Hälfte ihres fünfwöchigen Lehrgangs hinter sich. Zu den Aufgaben während ihrer Ausbildung gehörte es auch, Spenden für wohltätige Zwecke zu sammeln, und einer von ihnen hatte
für neun Uhr fünfzehn einen Fallschirmsprung auf dem Trainingsplatz angekündigt. Ein großes X markierte die Stelle. Es bestand aus zwei leuchtend roten Kunststoffbahnen, die mit Steinen beschwert waren. Ein paar Polizeianwärter blinzelten in den Himmel, die Hand schützend über den Augen.
»Vielleicht hat er sich ein paar Leute von der Royal Air Force in Leuchars geholt?«, überlegte einer von ihnen.
Rebus stand mit den Händen in den Taschen da. Er hatte sich auf einer Spendenliste eingetragen und zu einer Stiftung von fünf Pfund verpflichtet, wenn der Sprung gelang. Gerüchten zufolge sollte angeblich ein Landrover mit dem Kennzeichen der Streitkräfte in der Einfahrt parken. Hinter einem der Fenster des Gebäudes, das die Stirnseite des Platzes bildete, waren zwei Männer in hellgrauen Uniformen zu sehen.
»Sir.« Einer der Anwärter ging an Rebus vorbei und grüßte. Das war so üblich; es gehörte zur Ausbildung. Manchmal kam Rebus ein halbes Dutzend von ihnen auf dem Gang entgegen, und alle sagten gleichzeitig »Sir«. Er versuchte es zu ignorieren. Eine Tür öffnete sich, und aller Augen wandten sich dorthin. Ein junger Mann in einem Fliegeroverall mit Fallschirmgurt um seinen Brustkorb trat heraus. Er trug einen Stahlrohrstuhl, nickte und strahlte die Menge an, die schweigend beobachtete, wie er auf das X zuging und den Stuhl energisch in dessen Mitte stellte. Rebus schnaubte leise und schüttelte den Kopf, als er begriff, was jetzt kommen würde. Der künftige CIDler stieg auf den Stuhl, beugte sich vor und legte die Handflächen aneinander, als wollte er einen Kopfsprung machen. Und dann sprang er. Staub wirbelte auf, als er den Boden berührte. Er reckte sich und breitete die Arme aus, wie um den Beifall des Publikums entgegenzunehmen. Es gab einiges Getuschel und verwirrte Blicke. Der Rekrut nahm den Stuhl vom Boden. Die Offiziere der Royal Air Force lächelten hinter ihrer Fensterscheibe.
»Was war das?«, fragte jemand ungläubig.
»Das, mein Lieber, war ein Fallschirmsprung«, sagte Rebus, dessen Bewunderung nur durch die Erkenntnis getrübt wurde, soeben fünf Pfund verloren zu haben. Er erinnerte sich, dass er während seines CID-Lehrgangs Spendengelder gesammelt hatte, indem er an einem ganztägigen Staffellauf auf der Hindernisstrecke teilnahm. Heutzutage könnte er von Glück sagen, wenn er im Schritttempo eine einzige Runde schaffen würde.
Oben im Gruppenraum teilte er den anderen mit, der Sprung sei erfolgreich verlaufen, erntete aber nur Stirnrunzeln und Schulterzucken. Jazz McCullough, der zum Leiter des Ermittlungsteams ernannt worden war, sprach gerade mit Francis Gray. Tam Barclay und Allan Ward waren damit beschäftigt, ein Verzeichnis der Akten anzulegen, und Stu Sutherland versuchte, einem reizbar wirkenden DCI Tennant den Ablauf der Ermittlung zu erläutern. Rebus setzte sich und griff nach einem Stapel Unterlagen. Er arbeitete eine gute halbe Stunde und blickte
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