Die Tore der Welt
gekämmt, und er hatte die
schlimmsten Flecken von seiner Robe entfernt. Er sah zwar nicht wie ein Prior
aus, aber fast wie ein echter Mönch.
Godwyn beachtete
ihn nicht und stieg die Treppe hinauf. Vor dem Zimmer des Grafen hielt Merthins
Bruder Ralph Wache, einer der Junker des Grafen. Ralph war ausgesprochen gut
aussehend, sah man von der gebrochenen Nase ab — eine Verletzung, die er sich
erst vor Kurzem zugezogen hatte. Junker brachen sich ständig irgendwelche
Knochen. »Gott zum Gruß, Ralph«, sagte Godwyn freundlich. »Was ist mit deiner
Nase passiert?«
»Ich hatte eine
Schlägerei mit einem Bauernlümmel. Die Nase ist gebrochen.«
»Du solltest sie
dir richten lassen. Ist der Friar schon hier oben gewesen?« »Ja. Ich habe ihm
gesagt, er solle warten.« »Wer ist beim Grafen?« »Lady Philippa und der
Schreiber, Vater Jerome.« »Frag doch bitte nach, ob er mich empfängt.« »Lady
Philippa hat gesagt, der Graf solle niemanden empfangen.« Godwyn grinste Ralph
an und zwinkerte ihm zu, von Mann zu Mann. »Aber sie ist nur eine Frau.« Ralph
erwiderte das Grinsen, öffnete die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. »Bruder
Godwyn ist hier«, sagte er, »der Mesner.« Es folgte eine kurze Pause; dann kam
Lady Philippa heraus und schloss hinter sich die Tür. »Ich habe dir doch
gesagt, keine Besucher«, stieß sie wütend hervor. »Graf Roland bekommt nicht
die Ruhe, die er braucht.« Ralph entgegnete: »Ich weiß, Mylady, aber Bruder
Godwyn würde den Grafen sicher nicht unnötig belästigen.«
Irgend etwas in
Ralphs Tonfall veranlasste Godwyn, ihn sich genauer anzuschauen. Ralphs Worte
waren nüchtern, doch seine Stimme war säuselnd, seine Blicke schmachtend. Da
erst bemerkte Godwyn, wie üppig Lady Philippa gebaut war. Sie trug ein dunkelrotes
Kleid, das an der Hüfte von einem Gürtel gehalten wurde, und die feine Wolle
klebte förmlich an ihrem Busen und an den Hüften.
Sie sah wie die
Fleisch gewordene Versuchung aus, dachte Godwyn bei sich, und erneut wünschte
er sich, irgendeinen Weg zu finden, Frauen von der Priorei fernzuhalten. Es war
schon schlimm genug, wenn ein Junker sich in eine verheiratete Frau verliebte,
aber wenn das einem Mönch passierte, käme es einer Katastrophe gleich.
»Es tut mir leid,
den Grafen belästigen zu müssen«, sagte Godwyn, »aber unten wartet ein Friar
auf eine Audienz bei ihm.«
»Ich weiß — Murdo.
Ist sein Anliegen wirklich so dringend?« »Im Gegenteil. Aber ich muss den
Grafen davor warnen, was er zu erwarten hat.«
»Ihr wisst, was der
Friar sagen wird?« »Ich glaube ja.« »Dann wird es wohl am besten sein, ihr
beide geht gemeinsam zum Grafen.« Godwyn sagte: »Aber …«, und tat dann so,
als würde er einen Protest hinunterschlucken.
Philippa schaute zu
Ralph. »Führe den Friar bitte herauf.« Ralph holte Murdo, und Philippa
scheuchte ihn und Godwyn ins Gemach.
Graf Roland war im
Bett, vollständig angekleidet, doch diesmal saß er, und Federkissen stützten
seinen verbundenen Kopf. »Was soll das?«, fragte er, wie immer schlecht
gelaunt. »Ist das hier ein Kapiteltreffen, oder was? Was wollt ihr Brüder von
mir?« Zum ersten Mal seit dem Brückeneinsturz sah Godwyn sich das Gesicht des
Grafen genauer an, und entsetzt stellte er fest, dass die rechte Seite gelähmt
war: Das Augenlid hing herunter, die Wange bewegte sich kaum, und der Mund war
schlaff, was umso deutlicher hervortrat, als die linke Gesichtshälfte sich
ganz normal bewegte. Wenn Roland sprach, legte er die linke Stirnhälfte in
Falten, öffnete weit das linke Auge und funkelte damit in befehlsgewohnter
Manier; gleichzeitig sprach er vehement aus dem linken Mundwinkel. Der Arzt in
Godwyn war fasziniert. Er wusste, dass Kopfverletzungen unvorhersehbare
Auswirkungen haben konnten, aber von einem solchen Fall hatte er noch nie
gehört.
»Gafft mich nicht
so an«, quetschte der Graf aus dem linken Mundwinkel hervor. »Ihr seht aus wie
zwei Kühe, die über die Hecke glotzen. Sagt, was ihr wollt.«
Godwyn riss sich
zusammen. Die nächsten paar Minuten musste er äußerst vorsichtig sein. Er
wusste, dass Roland Murdos Kandidatur für das Amt des Priors ablehnen würde.
Trotzdem wollte er dem Grafen die Idee einpflanzen, Murdo könne eine mögliche
Alternative zu Saul Whitehead darstellen. Daher war es Godwyns Aufgabe, Murdo bei
seiner Bewerbung zu unterstützen. Paradoxerweise würde er das tun, indem er
Murdo ablehnte,
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