Die Tore der Welt
sie.
Das tat sie
manchmal spät am Abend, wenn ihr Vater und Petronilla schliefen und Merthin
allein mit ihr im Erdgeschoss war. Doch nun war helllichter Tag, und jeden
Moment konnte jemand hereinkommen. »Nein!«, sagte er.
»Ich könnte schnell
machen.« Sie verstärkte ihren Griff.
»Das ist mir
peinlich.« Merthin stand auf und ging auf die andere Seite des Tisches.
»Schade.«
»Vielleicht müssen
wir das ja nicht mehr lange.« »Was müssen wir nicht mehr lange?«
»Uns verstecken und
Angst haben, jemand könnte hereinkommen.« Caris schaute ihn verletzt an.
»Gefällt dir das denn nicht?«
»Natürlich gefällt
es mir. Aber es wäre schöner, wenn wir allein wären. Jetzt, wo ich bezahlt
werde, könnte ich mir ein Haus kaufen.« »Du bist erst einmal bezahlt worden.«
»Warum bist du so schwarzseherisch? Habe ich was Falsches gesagt?« »Nein, aber
… Warum willst du alles ändern?« Die Frage erstaunte ihn. »Ich will nur mehr
davon, und ungestört.« Sie blickte ihn trotzig an. »Ich bin jetzt schon glücklich.«
»Das bin ich auch, aber … aber es kann nicht ewig so weitergehen.« »Warum
nicht?«
Merthin hatte das
Gefühl, als würde er einem Kind etwas erklären. »Weil wir nicht den Rest
unseres Lebens bei unseren Eltern wohnen und uns heimlich küssen können. Wir
brauchen ein eigenes Heim, um dort als Mann und Frau zu leben und jede Nacht
miteinander zu schlafen. Dann müssten wir uns nicht länger mit den Händen
Befriedigung verschaffen. Und wir könnten eine Familie gründen.«
»Warum?«,
entgegnete Caris.
»Warum?«,
antwortete Merthin verzweifelt. »Weil es nun mal so ist, und ich werde jetzt
nichts mehr erklären, denn ich glaube, dass du mich einfach nicht verstehen
willst … oder zumindest tust du so, als würdest du mich nicht verstehen.«
»Na gut.«
»Und ich muss
wieder an die Arbeit.« »Dann geh.« Merthin verstand die Welt nicht mehr. Das
letzte halbe Jahr hatte es ihn schier zur Verzweiflung getrieben, Caris nicht
heiraten zu können, und er hatte geglaubt, dass sie genauso empfand. Nun aber
sah es danach aus, als wäre das nicht der Fall. Ja, Caris schien den Gedanken
an Heirat sogar rundheraus abzulehnen. Aber glaubte sie denn wirklich, dass sie
diese unreife Beziehung ewig weiterführen könnten? Merthin schaute sie an. Er
versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, sah dort aber nur Trotz. Er drehte sich
um und ging zur Tür hinaus.
Draußen auf der
Straße zögerte er. Vielleicht sollte er wieder hineingehen und Caris dazu
bringen, dass sie ihm sagte, was in ihrem Kopf vorging. Dann aber erinnerte er
sich an den Ausdruck auf ihrem Gesicht, und er wusste, dass jetzt nicht der
geeignete Zeitpunkt war. Also ging er weiter in Richtung St. Mark und fragte
sich, wie ein solch wundervoller Tag so plötzlich verdorben werden konnte.
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KAPITEL 22
Godwyn bereitete
die Kathedrale von Kingsbridge für die große Hochzeit vor. Die Kirche musste in
vollem Glanz erstrahlen. Neben dem Grafen von Monmouth und dem Grafen von
Shiring würden mehrere Barone und Hunderte von Rittern kommen. Nun galt es,
zerbrochene Bodenplatten zu ersetzen, gesplittertes Mauerwerk zu flicken,
zerbröckelnde Figuren zu erneuern, die Wände zu kalken, Pfeiler zu bemalen und
alles sauber zu schrubben.
»Und ich will, dass
die Reparaturen im Südchor fertig werden«, sagte Godwyn zu Elfric, als sie
durch die Kirche gingen.
»Ich bin mir nicht
sicher, ob das möglich ist … « »Es muss sein.
Bei einer Hochzeit
von solcher Wichtigkeit können wir kein Gerüst im Chor stehen haben.« Er sah,
dass Philemon ihm vom Südportal aus drängend zuwinkte. »Entschuldigt mich.«
»Ich habe nicht genug Leute dafür!«, rief Elfric ihm hinterher.
»Dann solltet Ihr
sie nicht so schnell auf die Straße setzen!« Philemon sah ganz aufgeregt aus.
»Friar Murdo bittet darum, zum Grafen vorgelassen zu werden«, sagte er.
»Gut!« Petronilla
halte am Abend zuvor mit dem Bettelmönch gesprochen, und heute Morgen hatte
Godwyn Philemon angewiesen, in der Nähe des Hospitals zu bleiben und nach Murdo
Ausschau zu halten. Er hatte schon mit einem frühen Besuch gerechnet.
Gefolgt von
Philemon eilte Godwyn ins Hospital. Erleichtert sah er, dass Friar Murdo noch
immer in dem großen Raum im Erdgeschoss wartete. Der fette Bettelmönch hatte sein
Erscheinungsbild ein wenig verbessert: Sein Gesicht und seine Hände waren
sauber, der zerzauste Haarkranz um seine Tonsur war
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