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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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So
sehr, wie ein Mann von meiner Art eine Frau nur lieben kann.«
    Caris runzelte die
Stirn. Was meinte er mit »ein Mann von meiner Art«? War er einer von denen, die
andere Männer liebten? Das war bei Mönchen oft so.
    Aber was immer er
meinte, Loreen schien ihn zu verstehen, denn sie entgegnete mit sanfter Stimme:
»Das weiß ich.«
    Schweigen breitete
sich aus. Caris wusste, dass sie und Merthin ein solch intimes Gespräch nicht
belauschen sollten, doch nun war es zu spät, sich zu erkennen zu geben.
    Loreen fragte:
»Bist du glücklich?«
    »Ja. Ich war nie
zum Ehemann oder Ritter geboren. Jeden Tag bete ich für meine Kinder … und
für dich. Ich bitte Gott, das Blut all jener Männer von meinen Händen zu
waschen, die ich erschlagen habe. Dies hier ist das Leben, das ich schon immer
gewollt habe.«
    »Dann wünsche ich
dir alles Gute.« »Du bist sehr großmütig.« »Du wirst mich wohl nie
Wiedersehen.« »Ich weiß.«
    »Küss mich und sag
Lebewohl.«
    Es folgte langes
Schweigen; dann verhallten leichte Schritte im riesigen Innern der Kathedrale.
Caris lag vollkommen regungslos da; sie wagte kaum zu atmen. Nach einer
weiteren Pause hörte sie Thomas weinen. Sein Schluchzen war gedämpft, schien
jedoch aus seinem tiefsten Innern zu kommen. Auch Caris‘ Augen wurden feucht.
    Schließlich fasste
Thomas sich wieder. Er schniefte, hustete und murmelte irgendetwas, das ein
Gebet hätte sein können; dann hörte Caris seine Schritte, als er davonging.
    Endlich konnten sie
und Merthin sich wieder bewegen. Sie gingen über den Laufsteg und stiegen die
Treppe hinunter. Keiner von beiden sagte ein Wort, als sie wieder ins südliche
Seitenschiff gelangten. Es kam Caris so vor, als hätte sie soeben ein Gemälde
betrachtet, das eine Tragödie zeigte: Die Figuren waren in der Dramatik des
Augenblicks eingefroren, und über ihre Vergangenheit und Zukunft konnte man nur
rätseln.
    Als sie in den
feuchten Sommernachmittag hinaustraten, sagte Merthin: »Was für eine traurige
Geschichte.«
    »Mich macht sie
wütend«, erwiderte Caris. »Thomas hat ihr Leben zerstört!«
    »Das kannst du ihm
nicht zum Vorwurf machen. Er musste sein eigenes Leben retten.«
    »Ja, aber jetzt ist
ihr Leben vorbei. Loreen hat keinen Gemahl, kann aber auch nicht wieder
heiraten. Und sie muss zwei Kinder alleine großziehen. Thomas hat wenigstens
das Kloster.«
    »Loreen hat den Hof
der Gräfin.«
    »Wie kannst du das
vergleichen?«, erwiderte Caris verärgert.
    »Sie ist vermutlich
eine entfernte Verwandte, die man nur aus Mildtätigkeit behält und die niedere
Arbeiten verrichten muss … der Gräfin beim Frisieren helfen oder die Kleider
für sie auswählen. Die arme Frau hat keine Wahl. Sie sitzt in der Falle.«
    »Thomas auch. Du
hast doch gehört, wie er sagte, er könne das Klostergelände nicht verlassen.«
    »Aber Thomas hat
eine Aufgabe. Er ist der Matricularius. Er trifft Entscheidungen. Er tut
etwas.«
    »Loreen hat ihre
Kinder.«
    »Genau! Der Mann
kümmert sich um das wichtigste Gebäude in wer weiß wie vielen Meilen Umkreis,
und die Frau hat die Kinder am Hals.«
    »Königin Isabella
hatte vier Kinder, und eine Zeit lang gehörte sie zu den mächtigsten Leuten der
Welt.«
    »Aber dafür hat sie
sich zuerst ihren Mann vom Hals geschafft.«
    Schweigend gingen
sie weiter über den Kathedralenvorplatz und auf die Hauptstraße hinaus. Vor
Caris‘ Haus blieben sie stehen. Caris seufzte in sich hinein. Nun hatten sie
schon wieder gestritten, und wieder über das gleiche Thema: die Ehe.
    Merthin sagte: »Ich
gehe zum Essen ins Bell.« Das war das Gasthaus von Bessies Vater. »Wie du
willst«, sagte Caris.
    Als Merthin
davonging, rief sie ihm hinterher: »Loreen wäre besser dran, wenn sie nie geheiratet
hätte!«
    Merthin sagte über
die Schulter: »Was hätte sie denn sonst tun sollen?« Da liegt das Problem,
dachte Caris wütend, als sie das Haus betrat. Was sollte eine Frau sonst tun?
Das Haus war leer. Edmund und Petronilla waren zum Bankett, und die Diener
hatten den Nachmittag frei. Nur Scrap, die Hündin, begrüßte Caris mit einem
trägen Schwanzwedeln. Gedankenverloren tätschelte Caris dem Tier den schwarzen
Kopf und setzte sich grübelnd an den Tisch in der Halle.
    Jede andere Frau
auf der Welt wünscht sich nichts sehnlicher, als den Mann zu heiraten, den sie
liebt, überlegte Caris. Warum erschreckte sie die Aussicht so sehr? Woher hatte
sie diese

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