Die Tore der Welt
glaube, dass Gott Arbeit für
dich hat.«
»Woher wisst Ihr,
was Gott denkt?«
Cecilia zuckte
zusammen. »Hätte jemand anders in dieser Stadt mir diese Frage gestellt, würde
ich ihm raten, dass er niederkniet und um Vergebung betet. Aber du meinst es
ernst, also werde ich die Frage beantworten: Ich weiß, was Gott denkt, weil ich
die Lehren seiner Kirche annehme, und ich bin sicher, dass unser Herr Jesus
dich zur Braut wünscht.«
»Aber ich mag
Männer aus Fleisch und Blut.« »Mit diesem Problem habe ich bei jungen Frauen
stets zu kämpfen, aber glaub mir:
Das legt sich mit
den Jahren.« »Aber ich müsste mich Regeln beugen, und Regeln mag ich nicht
anerkennen.« »Du redest wie eine Begine.«
»Was ist das?«
»Beginen sind
Nonnen, die keine Regeln gelten lassen und ihre Gelübde nur als vorübergehend
betrachten. Sie leben zusammen, bestellen ihr Land und weiden ihr Vieh. Sie
weigern sich, von Männern beherrscht zu werden.«
Caris hörte
fasziniert zu, wie jedes Mal, wenn es um Frauen ging, die sich Regeln
widersetzten. »Wo gibt es diese Nonnen?«
»Vor allem in
Flandern. Sie hatten einst eine Führerin, Margareta Porete, die ein Buch mit
dem Titel ›Spiegel der einfachen Seele‹ geschrieben hat.«
»Das würde ich gern
einmal lesen.«
»Tu‘s nicht. Die
Beginen sind von der Kirche wegen ihres Glaubens an die Freiheit des Geistes zu
Ketzern erklärt worden. Sie glauben, dass wir auf Erden geistige Vollkommenheit
erreichen können.«
»Geistige
Vollkommenheit? Was heißt das?« »Wenn du entschlossen bist, deinen Geist Gott
zu versperren, wirst du es nie verstehen.« »Tut mir leid, Mutter Cecilia, aber jedes
Mal, wenn ein einfacher Mensch mir etwas über Gott erzählt, denke ich: ›Aber
Menschen sind fehlbar; also ist die Wahrheit vielleicht ganz anders.‹« »Wie
könnte die Kirche sich irren?«
»Nun, die
Muselmanen haben einen anderen Glauben.« »Das sind Heiden!«
»Sie nennen uns
Ungläubige — das ist das Gleiche. Und Buona Ventura Caroli sagt, es gebe mehr
Muselmanen als Christen auf der Welt. Also muss irgend jemand in der Kirche
sich geirrt haben.«
»Caris!«, mahnte
Cecilia streng. »Lass dich von deiner Leidenschaft nicht zur Blasphemie
verleiten!« »Verzeiht, Mutter Cecilia.«
Caris wusste, dass
Cecilia gern mit ihr disputierte, doch es kam stets der Augenblick, da die
Priorin den Disput abbrach und zur Predigerin wurde. Immer dann kam Caris sich
betrogen vor.
Mutter Cecilia
erhob sich. »Ich weiß, dass ich dich nicht gegen deinen Willen zu überzeugen
vermag. Ich wollte dir auch nur sagen, in welche Richtung meine Gedanken gehen.
Du könntest nichts Besseres für dich tun, als dich unserem Konvent
anzuschließen und dein Leben der Nächstenliebe zu widmen — der Heilung Kranker
und der Tröstung Sterbender. Vielen Dank für den Wein.«
Als Mutter Cecilia
sich zum Gehen wandte, fragte Caris: »Was ist mit dieser Margareta Porete
geschehen? Lebt sie noch?«
»Nein«, antwortete
die Priorin. »Sie wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt.« Sie ging auf die
Straße hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Caris starrte auf
die geschlossene Tür und dachte bei sich: Das Leben einer Frau ist wie ein Haus
voller geschlossener Türen. Frauen können nirgends in die Lehre gehen, können
nicht studieren, können weder Priester noch Arzt werden, können weder mit dem Bogen
schießen noch mit dem Schwert kämpfen — sie können nicht einmal heiraten, ohne
sich der Tyrannei ihres Gemahls zu unterwerfen.
Caris fragte sich,
was Merthin wohl gerade tat. Saß er mit Bessie an seinem Tisch im Bell? Beobachtete
sie ihn dabei, wie er das beste Bier ihres Vaters trank? Lächelte sie ihn
einladend an und zog ihren Ausschnitt ein Stück herunter, damit er ihre
hübschen Brüste sehen konnte? Öffnete sie leicht den Mund, dass er ihre
ebenmäßigen Zähne sah? Warf sie den Kopf zurück, damit er die weiche Haut ihres
weißen Halses bewundern konnte? War Merthin amüsant, und brachte er sie zum
Lachen? Sprach er mit ihrem Vater, Paul Bell, und stellte ihm respektvoll
Fragen zu seinem Geschäft, sodass Paul seiner Tochter später sagen würde,
Merthin sei ein netter junger Mann? Würde Merthin sich betrinken und den Arm um
Bessies Hüfte legen? Und würde seine Hand dann unauffällig zwischen ihre
Schenkel wandern?
Caris traten die
Tränen in die Augen. Sie kam sich wie eine Närrin vor. Da hatte sie den besten
Mann in der
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