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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eigentümlichen Gefühle? Von ihrer Mutter sicher nicht. Rose hatte
Edmund stets eine gute Gemahlin sein wollen. Sie hatte stillschweigend geglaubt,
was die Männer über die Unterlegenheit der Frauen sagten.
    Ihre
Unterwürfigkeit war Caris peinlich gewesen, und obwohl Edmund sich nie
beschwert hatte, vermutete sie, dass er Rose zwar geliebt, aber wenig geachtet
hatte. Auch Caris hatte stets mehr Respekt vor ihrer nur wenig liebenswerten,
aber tatkräftigen Tante Petronilla als vor ihrer fügsamen Mutter gehabt.
    Doch selbst
Petronilla hatte ihr Leben von Männern bestimmen lassen — von ihrem Vater, von Graf
Roland, von ihrem Ehemann und ihrem Sohn. Jahrelang hatte sie Himmel und Hölle
in Bewegung gesetzt, damit ihr Vater Ratsältester von Kingsbridge werden konnte;
Graf Roland hatte sie sitzen lassen, was sie ihm nie verzeihen konnte — genauso
wenig wie ihrem Ehemann, dass er ihr weggestorben war. Als Witwe hatte
Petronilla sich dann ganz dem Aufstieg Godwyns gewidmet.
    Königin Isabella
war ähnlich gewesen. Sie hatte sich ihres Ehemanns entledigt, König Edward II.,
doch als Folge davon hatte ihr Geliebter, Roger Mortimer, in England das Sagen
gehabt, bis ihr Sohn alt und selbstbewusst genug geworden war, um ihn zu verjagen.
    Caris fragte sich,
ob auch sie ihr Leben durch Männer leben sollte. Sollte sie dem Wunsch ihres
Vaters nachkommen und mit ihm zusammen im Wollgeschäft arbeiten? Oder sollte
sie Merthin dabei helfen, Aufträge für den Bau von Kirchen oder Brücken zu
ergattern und sein Geschäft auszuweiten, bis er der reichste und bedeutendste
Baumeister in ganz England war?
    Ein Klopfen an der
Tür riss Caris aus ihren Gedanken, und Mutter Cecilia stapfte forsch ins
Zimmer.
    »Guten Tag!«, sagte
Caris überrascht. »Ich habe mich gerade gefragt, ob alle Frauen dazu verdammt
sind, ihr Leben durch Männer zu leben. Aber Ihr seid ein offensichtliches
Gegenbeispiel.«
    »Das stimmt nicht
ganz«, erwiderte Cecilia und lächelte freundlich. »Ich lebe durch Jesus
Christus, der ein Mann war, obwohl er auch Gott ist.«
    Caris war nicht
sicher, ob das zählte. Sie öffnete den Schrank und holte ein kleines Fass vom
besten Wein heraus. »Möchtet Ihr einen Becher von Vaters Rheinländer?«
    »Nur einen Schluck,
mit Wasser verdünnt.« Caris füllte zwei Becher zur Hälfte mit Wein und goss den
Rest dann mit Wasser aus einem Krug auf. »Ihr wisst, dass mein Vater und meine
Tante auf dem Bankett sind?« »Ja. Ich bin deinetwegen hier.« Das hatte Caris
sich schon gedacht. Die Priorin ging nicht ohne einen wichtigen Grund durch die
Stadt.
    Cecilia nippte am
Wein und fuhr fort: »Ich habe über dich nachgedacht … und darüber, wie du
dich am Tag des Brückeneinsturzes verhalten hast.«
    »Habe ich etwas
falsch gemacht?«
    »Im Gegenteil. Du
hast alles richtig gemacht. Du warst sanft und entschlossen zugleich, als wir
die Verletzten behandelt haben. Du hast meinen Befehlen gehorcht, aber auch aus
eigenem Antrieb gehandelt. Ich war beeindruckt.«
    »Danke.«
    »Und mir schien,
als hätte die Arbeit dich erfüllt. Oder irre ich mich?« »Die Menschen waren in
Not, und wir haben ihnen Linderung gebracht. Was könnte erfüllender sein?« »So
sehe ich es auch.
    Deshalb bin ich
Nonne geworden.« Nun wusste Caris, worauf es hinauslief. »Ich könnte mein Leben
nicht in einem Kloster verbringen.« »Mir ist noch mehr aufgefallen. Als die
Leute das erste Mal mit den Toten und Verletzten in die Kathedrale kamen, habe
ich sie gefragt, wer ihnen gesagt habe, was zu tun sei. Sie alle haben deinen
Namen genannt.« »Es war offensichtlich, was getan werden musste.« »Ja — für
dich.« Cecilia beugte sich mit ernster Miene vor.
    »Nur wenige
Menschen verfügen über die Gabe, so etwas zu erkennen und entsprechend zu
handeln. Ich weiß es, denn auch ich habe diese Fähigkeit. Würden rings um uns
her nur noch Ratlosigkeit, Angst und Entsetzen herrschen, würden du und ich das
Kommando übernehmen.« »Schon möglich«, räumte Caris widerwillig ein. »Ich habe
dich zehn Jahre lang beobachtet — seit dem Tag, als deine Mutter gestorben
ist.« »Ihr habt ihr die Angst genommen.«
    »Schon damals,
nachdem ich nur mit dir gesprochen hatte, wusste ich, dass eine
außergewöhnliche Frau aus dir wird. Und ich sah mich bestätigt, als du die
Nonnenschule besucht hast. Jetzt bist du zwanzig. Du musst darüber nachdenken,
was du mit deinem Leben anfangen willst, und ich

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