Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
nicht. Ich vielleicht.« »Aber du bist entlassen worden.«
    »Genau.« Merthin
stand dort ein paar Augenblicke lang mit zurückgelegtem Kopf und sagte dann:
»Ich will mir das mal von oben ansehen. Ich gehe hinauf.«
    »Ich komme mit.«
    Beide schauten sie
sich um, doch es war noch immer niemand zu sehen außer der rothaarigen Frau,
die nach wie vor im südlichen Seitenschiff stand. Merthin führte Caris zu einer
kleinen Tür, hinter der sich eine schmale Wendeltreppe verbarg. Sie folgte ihm
nach oben und fragte sich, was die Mönche wohl denken würden, wenn sie wüssten,
dass eine Frau ihre Geheimgänge erkundete. Die Treppe führte auf einen
Dachboden über dem südlichen Seitenschiff.
    Caris war
fasziniert, ein Gewölbe einmal von der anderen Seite zu sehen. »Was ist das?«
    »Was du hier
siehst, nennt man den Gewölbe- oder Bogenrücken«, sagte Merthin und erklärte
ihr, wozu er diente. Caris mochte seine beiläufige Art, ihr baumeisterliche
Informationen zu vermitteln, und er machte nie dumme Scherze über Frauen und
Technik.
    Merthin ging den
schmalen Laufsteg entlang und legte sich dann hin, um das neue Mauerwerk
genauer zu betrachten. Schelmisch ließ Caris sich neben ihm nieder und legte
ihm den Arm um die Schultern, als lägen sie im Bett. Merthin berührte den
Mörtel zwischen den neuen Steinen und leckte sich den Finger. »Der trocknet
ziemlich schnell«, bemerkte er.
    »Es ist bestimmt
gefährlich, wenn Feuchtigkeit in den Spalt dringt, oder?« Merthin schaute sie
an und lachte. »Ich würde dir gern Feuchtigkeit in den Spalt geben.« »Das hast
du schon.« Er küsste sie. Caris schloss die Augen, um es besser genießen zu
können.
    Nach einer Minute
sagte sie: »Lass uns zu mir gehen. Wir haben das Haus für uns. Mein Vater und
Tante Petronilla sind auf dem Hochzeitsbankett.«
    Sie wollten gerade
aufstehen, als sie Stimmen hörten. Ein Mann und eine Frau waren in den
südlichen Chorbereich gekommen und standen nun genau unter dem Gewölbe, das
instand gesetzt wurde.
    Ihre Worte wurden
von der Plane, die das Loch bedeckte, nur leicht gedämpft, sodass sie gut zu
verstehen waren. »Dein Sohn ist jetzt dreizehn«, sagte die Frau. »Er will
Ritter werden.«
    »Das wollen alle
Jungen«, lautete die Antwort.
    Merthin flüsterte:
»Rühr dich nicht! Sie würden uns hören.« Caris nahm an, dass die weibliche
Stimme der rothaarigen Frau gehörte. Die männliche Stimme kam ihr vertraut vor,
und sie hatte das Gefühl, dass der Sprecher ein Mönch war … aber ein Mönch
konnte keinen Sohn haben.
    »Und deine Tochter
ist zwölf. Sie wird sehr schön.« »Wie ihre Mutter.«
    »Ein wenig.« Es
folgte eine Pause; dann fuhr die Frau fort: »Ich kann nicht lange bleiben. Die
Gräfin sucht mich vielleicht schon.«
    Sie gehörte also
zum Gefolge der Gräfin von Monmouth. Vielleicht war sie eine Hofdame, überlegte
Caris. Die Frau schien einem Vater von seinen Kindern zu erzählen, die er schon
seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Wer konnte der Mann sein?
    Er fragte: »Warum
wolltest du mich treffen, Loreen?« »Ich wollte dich einfach nur sehen. Es tut
mir leid, dass du deinen Arm verloren hast.« Caris schnappte vernehmlich nach
Luft, schlug hastig die Hand vor den Mund und hoffte, dass man sie nicht gehört
hatte.
    Hier gab es nur
einen Mönch, der einen Arm verloren hatte: Bruder Thomas. Nun, da ihr der Name
eingefallen war, wusste Caris, dass die Stimme ihm gehörte. War es möglich,
dass er ein Weib hatte? Und zwei Kinder? Caris schaute Merthin an. Sein Gesicht
war zu einer Maske des Unglaubens erstarrt.
    »Was erzählst du
den Kindern von mir?«, erkundigte sich Thomas.
    »Dass ihr Vater tot
ist«, antwortete sie mit spröder Stimme, brach in Tränen aus und fragte
schluchzend: »Warum hast du das getan?«
    »Mir blieb keine
Wahl. Wäre ich nicht hierhergekommen, hätte man mich getötet. Selbst jetzt noch
verlasse ich das Kloster kaum.«
    »Warum sollte jemand
dich töten wollen?« »Damit ein Geheimnis mit mir stirbt.«
    »Ich wäre besser
dran, wenn du wirklich tot wärst. Als Witwe könnte ich mir einen neuen Gemahl
suchen … einen Vater für meine Kinder. So aber habe ich die Last einer Frau
und Mutter zu tragen, ohne dass jemand mir hilft … und niemand legt des
Nachts die Arme um mich.«
    »Tut mir leid, dass
ich noch lebe.«
    »So habe ich das
nicht gemeint. Ich will dich nicht tot sehen. Ich habe dich einmal geliebt.«
    »Ich dich auch.

Weitere Kostenlose Bücher