Die Tore der Welt
die Bank neben Merthin setzte, sodass
er ihren warmen Schenkel an seinem fühlte, schauderte er vor Wonne.
Jeder, der in der
Stadt einem Gewerbe nachging, musste einer Zunft angehören — Leute von außen
konnten nur an Markttagen Geschäfte abschließen. Selbst Mönche und Priester
waren gezwungen, sich einer Zunft anzuschließen, wollten sie Handel treiben,
was oft der Fall war. Wenn ein Mann starb, war es üblich, dass seine Witwe das
Gewerbe fortführte. Auf diese Weise war Betty Baxter zur reichsten Bäckerin der
Stadt geworden, und Sarah Taverner führte nun das Holly Bush, das ihrem
verblichenen Gemahl gehört hatte. Es wäre grausam und zudem nicht ganz einfach
gewesen, Frauen zu verbieten, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Viel leichter war
es, sie in eine Zunft und den Rat einzubinden.
Normalerweise
leitete Edmund die Versammlungen. Dabei saß er auf einem großen Holzthron vorne
auf einer Empore. Heute jedoch standen dort zwei Stühle. Auf einem saß Edmund;
als Prior Godwyn eintraf, bat er ihn, sich auf den zweiten Stuhl zu setzen.
Godwyn wurde von
sämtlichen älteren Mönchen begleitet.
Merthin freute
sich, Thomas unter ihnen zu sehen. Philemon gehörte ebenfalls zu Edmunds
Gefolge. Er sah so schlaksig und unbeholfen aus wie eh und je, und Merthin
fragte sich, weshalb Godwyn ihn überhaupt mitgebracht hatte.
Godwyn blickte
gequält drein, als Edmund die Versammlung mit der Erklärung eröffnete, dass der
Prior die Verantwortung für die Brücke trage und deshalb schlussendlich auch
die Entscheidung fällen würde. Doch alle wussten, dass Edmund dem Prior diese
Entscheidung im Grunde abgenommen hatte, als diese Versammlung einberufen
worden war. Vorausgesetzt, man kam heute Abend zu einem Konsens, würde es
Godwyn schwerfallen, irgendetwas gegen den ausdrücklichen Willen der Kaufleute
zu unternehmen, zumal es sich hier um eine Frage des Handels und nicht um eine
Glaubensfrage handelte. Edmund bat Godwyn, die Versammlung mit einem Gebet zu
beginnen, und Godwyn kam seinem Wunsch nach; doch er wusste, dass er
ausmanövriert worden war. Deshalb schaute er drein wie jemand, der mitten in
einer Jauchegrube stand.
Edmund erhob sich
und verkündete: »Die Kosten für diese beiden Entwürfe sind von Elfric und
Merthin nach den gleichen Methoden errechnet worden … «
Elfric warf ein:
»Natürlich! Er hat es ja von mir gelernt!« Die Älteren lachten.
Was Elfric sagte,
stimmte sogar: Es gab Formeln, um die Kosten pro Quadratfuß einer Mauer, pro
Kubikzoll einer Füllung, pro Fuß einer Dachkonstruktion oder auch für jede
Handspanne einer komplizierteren Arbeit wie den Bau eines Bogens oder eines Gewölbes
zu errechnen. Alle Baumeister benutzten zu diesem Zweck dieselbe Methode — mit
kleinen persönlichen Abweichungen. Die Berechnungen für die Brücke waren
äußerst kompliziert gewesen, aber einfacher als die für den Bau einer Kirche.
Edmund fuhr fort:
»Jeder hat die Berechnungen des anderen gegengeprüft, sodass es keinen Grund
zum Streit gibt.«
Edward Butcher
rief: »Ja, ja! Alle Baumeister übertreiben gleich viel!« Wieder wurde gelacht,
diesmal noch lauter. Edward Butcher war bei Männern und Frauen gleichermaßen
beliebt: Die Männer mochten ihn seines scharfen Verstands wegen, die Frauen
wegen seines guten Aussehens und seiner rehbraunen Augen. Nur bei seiner
Ehefrau war er nicht so beliebt, denn sie kannte seine Untreue und hatte ihn
erst vor Kurzem mit einem seiner schwersten Hackmesser angegriffen; er trug
noch immer einen Verband um den linken Arm.
»Elfrics Brücke
wird 258 Pfund kosten«, verkündete Edmund, nachdem das Lachen verklungen war.
»Merthin kommt auf 307 Pfund. Wir haben also eine Differenz von 49 Pfund, wie
die meisten vqn euch wohl schneller ausgerechnet haben als ich.« Ein leises
Lachen ging durch die Runde. Edmund wurde oft damit geneckt, dass seine Tochter
das Rechnen für ihn übernahm. Er benutzte noch immer die alten lateinischen
Ziffern, denn er konnte sich an die neuen arabischen Zahlen nicht gewöhnen, die
das Rechnen viel einfacher machten.
Eine neue Stimme
bemerkte: »49 Pfund sind viel Geld.« Das war Bill Watkin, der Baumeister, der
sich geweigert hatte, Merthin einzustellen; mit seinem kahlen Kopf sah er wie
ein Mönch aus.
Dick Brewer sagte:
»Ja, aber Merthins Brücke ist doppelt so breit.
Eigentlich müsste
sie dann auch doppelt so viel kosten, tut sie aber nicht, denn
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