Die Tore der Welt
Sam wieder stehen
blieb, hielt auch sein Verfolger an. Sam begriff, dass er hingehalten werden
sollte. Er brüllte vor Wut und stürzte sich auf seinen Häscher. Der Hilfsbüttel
wich zurück, doch hinter ihm war der Fluss. Er kam ins seichte Wasser, das sein
Vorankommen hemmte, und Sam konnte ihn erreichen.
Sam packte den Mann
bei den Schultern, riss ihn herum und versetzte ihm einen Kopfstoß. Noch am
anderen Ufer hörte Caris das Knacken, mit dem die Nase des armen Mannes brach.
Sam stieß ihn zur Seite, und der Büttel stürzte, während sein Blut ins Wasser
des Flusses rann.
Wieder wandte sich
Sam dem Ufer zu — doch dort erwartete ihn schon Mungo. Sam stand tiefer auf der
abschüssigen Uferböschung und wurde vom Wasser behindert. Mungo lief auf ihn
zu, hielt dann inne und ließ Sam näher kommen, dann hob er den schweren Holzknüppel.
Er fintete, Sam duckte sich, Mungo schlug zu und traf Sam auf den Schädel.
Es sah nach einem
fürchterlichen Hieb aus, und Caris sog schockiert die Luft ein, als wäre sie
selbst getroffen worden. Sam brüllte vor Schmerz auf und schützte unwillkürlich
den Kopf mit den Händen. Mungo, der Erfahrung im Kampf gegen kräftige junge
Männer hatte, traf ihn erneut mit dem Knüppel — diesmal zielte er auf die ungeschützten
Rippen. Sam fiel ins Wasser. Die beiden Hilfsbüttel, die über die Brücke
gerannt waren, erreichten den Kampfplatz. Beide warfen sich auf Sam und hielten
ihn im seichten Wasser fest. Die beiden anderen, die er verletzt hatte, traten
und prügelten ihn wild, während ihre Kameraden ihn niederdrückten. Als sich Sam
nicht mehr wehrte, rissen sie ihn hoch und zerrten ihn aus dem Wasser.
Eilig fesselte
Mungo Sam die Hände auf den Rücken. Dann geleiteten die Büttel den Flüchtling
zurück in die Stadt. »Wie schrecklich«, sagte Caris. »Die arme Gwenda
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KAPITEL 83
Wenn in Shiring das
Grafschaftsgericht tagte, herrschte in der Stadt eine Stimmung wie bei einem
Volksfest. Alle Wirtshäuser am Gerichtsplatz hatten Hochbetrieb; Männer und
Frauen in ihren besten Kleidern bevölkerten die Säle und riefen nach Essen und
Trinken. Die Stadt ergriff natürlich die Gelegenheit und hielt einen Markt ab,
und dadurch war der Platz mit Ständen so vollgestellt, dass man eine halbe
Stunde brauchte, um zweihundert Schritt vorwärts zu kommen. Außer den Händlern
an den Ständen gab es Dutzende anderer, die mit allem Möglichen ihr Glück
versuchten: Bäcker mit Tabletts voller Brötchen, ein Fiedelspieler,
verstümmelte und blinde Bettler, Huren, die ihre Brüste sehen ließen, ein
Tanzbär und ein predigender Bettelmönch.
Graf Ralph gehörte,
eine Handvoll Diener im Gefolge, zu den wenigen Männern, die den Platz rasch
überqueren konnten, denn vor ihm ritten drei Ritter und durchschnitten das
Getümmel wie eine Pflugschar. Mit der Kraft ihrer Bewegung drängten sie die
Menge einfach beiseite, ohne auch nur einen Gedanken an die Sicherheit von
Menschen zu verschwenden, die ihnen im Weg standen.
Bald hatten sie den
Hügel zur Burg des Sheriffs erreicht und ritten hinauf. Im Hof ließen sie die
Pferde tänzeln und stiegen ab. Die Diener riefen sofort nach Stallknechten und
Trägern. Ralph liebte es, alle wissen zu lassen, dass er eingetroffen war.
Er war angespannt.
Der Sohn seines alten Feindes sollte wegen Mordes angeklagt werden. Er stand an
der Schwelle der denkbar süßesten Rache, die er üben konnte, aber insgeheim
fürchtete er, dass es doch nicht dazu kommen würde. Er war so aufgewühlt, dass
er sich ein wenig schämte: Seine Ritter durften nicht erfahren, wie viel es ihm
bedeutete, Sam hängen zu sehen. Sogar vor Alan Fernhill ließ er sich nichts
anmerken. Niemand wusste besser als er, wie leicht das Räderwerk der Justiz
versagen konnte; schließlich war er selbst zweimal dem Galgen entkommen.
Während des
Prozesses würde er am Richtertisch sitzen, wie es sein Recht war, und sein
Bestes geben, um sicherzustellen, dass diesmal alles den rechten Lauf nahm.
Er reichte seine
Zügel einem Stallknecht und sah sich um. Die Burg war keine militärische
Befestigung, sondern eher ein großes Wirtshaus mit Hof, wenngleich fest gebaut
und gut bewacht. Hier lebte der Sheriff von Shiring geschützt vor den rachsüchtigen
Verwandten derjenigen, die er verhaftete. Im Keller befanden sich Verliese, in
denen Gefangene untergebracht waren, und Gästewohnungen, in denen reisende
Richter unbelästigt
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