Die Tore der Welt
Söhne als Knappen nach
Earlscastle. Solche Familienbande waren unbezahlbar. »Wirst du dafür sorgen,
dass der Junge dort nicht verzärtelt wird?«, fragte Ralph.
»Selbstverständlich.«
»Also gut, dann bin
ich einverstanden.« »Gut. Ich bin froh, dass das geklärt ist.« Philippa erhob
sich.
Aber Ralph war noch
nicht fertig. »Was wird dann aus Roley? Er könnte ebenfalls gehen, dann würden
sie zusammenbleiben.«
Philippa gefiel die
Idee kein bisschen, das merkte Ralph ihr an, doch sie war zu klug, um ihm
rundheraus zu widersprechen. »Roley ist noch etwas jung«, sagte sie, als denke
sie darüber nach. »Und er beherrscht das Alphabet noch immer nicht richtig.«
»Schreiben ist für
einen Edelmann nicht so wichtig, wie zu lernen, wie man kämpft. Schließlich ist
er Zweiter in der Erbfolge eines Grafen. Wenn Gerry etwas zustoßen sollte … «
»Das verhüte Gott.«
»Amen.«
»Dennoch meine ich,
er sollte warten, bis er vierzehn ist.« »Ich weiß nicht recht. Roley war immer
ein bisschen weichlich. Manchmal erinnert er mich an meinen Bruder.« Ralph sah,
wie in ihren Augen die Furcht aufblitzte. Sie fürchtete wohl, ihren kleinen
Jungen loslassen zu müssen. Ralph fühlte sich versucht, darauf zu bestehen, nur
um sie zu quälen. Aber mit zehn Jahren war er wirklich noch jung für einen
Knappen. »Wir werden sehen«, erwiderte er unverbindlich. »Früher oder später
muss er aber hart werden.« »Alles zu seinerzeit«, erwiderte Philippa.
Der Richter, Sir
Lewis Abingdon, stammte nicht aus der Grafschaft, sondern war ein Londoner
Advokat vom königlichen Gericht, der durch das Land reiste und ernste Fälle in
den Grafschaften behandelte. Er war ein massiger Mann mit rosafarbenem Gesicht
und einem hellen Bart. Er war außerdem zehn Jahre jünger als Ralph. Das war
aber, sagte sich Ralph, nicht unbedingt verwunderlich.
Er selbst war nun
vierundvierzig. Die Pest hatte seine Generation zur Hälfte ausgelöscht. Dennoch
war er jedes Mal erstaunt, wenn ein herausragender, mächtiger Mann sich als
jünger erwies als er.
Mit Gerry und Roley
warteten sie in einem Nebenzimmer des Gasthauses, in dem das Gericht tagte,
während sich die Geschworenen sammelten und die Gefangenen von der Burg
hergeführt wurden. Wie sich herausstellte, hatte Sir Lewis als Junker bei Crecy
gekämpft, doch Ralph erinnerte sich nicht an ihn. Der Richter behandelte Ralph
mit wachsamer Höflichkeit.
Ralph suchte ihn
vorsichtig auszuhorchen, um heraus zu finden, ob er ein strenger Richter war.
»Wir finden hier, dass die Arbeitsverfügung sich nur schwer durchsetzen lässt«,
sagte er. »Sobald Bauern eine Gelegenheit sehen, Geld zu verdienen, verlieren
sie jeden Respekt vor Recht und Ordnung.«
»Für jeden
Landflüchtigen, der um ein rechtswidriges Entgelt arbeitet, gibt es einen
Dienstherrn, der es zahlt«, erwiderte der Richter.
»Ganz genau! Die
Nonnen der Priorei zu Kingsbridge haben sich nie an das Gesetz gehalten.«
»Nonnen anzuklagen
ist schwierig.« »Das sollte es aber nicht sein.« Sir Lewis wechselte das Thema.
»Habt Ihr ein besonderes Interesse an dem heutigen Verfahren?«, fragte er. Ihm
war wohl zu Ohren gekommen, dass es ungewöhnlich sei, wenn Ralph von seinem
Recht, neben dem Richter zu sitzen, Gebrauch machte.
»Der Mörder ist
einer meiner Hörigen«, gab Ralph zu. »Aber hauptsächlich bin ich hier, um
meinen Söhnen einen Einblick in das Wirken der Justiz zu verschaffen. Wenn ich
einmal den Geist aufgebe, wird einer von ihnen wohl Graf werden. Sie sollen
sich morgen auch die Hinrichtung ansehen. Je früher sie sich daran gewöhnen, Männer
sterben zu sehen, desto besser.«
Lewis nickte
zustimmend. »Die Söhne des Adels können sich ein weiches Herz nicht leisten.«
Sie hörten, wie der
Gerichtsdiener mit dem Hammer klopfte und das Gemurmel aus dem Nachbarraum
erstarb. Das Gespräch mit Sir Lewis hatte Ralphs Befürchtungen nicht zerstreuen
können; tatsächlich hatte der Richter ihm recht wenig Aufschluss darüber
gegeben, wie er zu urteilen gedachte. Vielleicht war das für sich genommen
schon aufschlussreich — es konnte bedeuten, dass der Mann sich nicht leicht
beeinflussen ließ.
Der Richter öffnete
die Tür und trat zur Seite, damit der Graf als Erster eintreten konnte.
Gleich neben der
Tür standen zwei große Holzstühle auf einem Podest. Neben ihnen befand sich
eine niedrige Bank. Ein interessiertes Gemurmel brach los, als Gerry
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