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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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schüttelt er bloß den Kopf und sagt,
das geht ihn nichts an.«
    Joy, die Dirne,
hatte dem Gespräch zugehört und warf ein: »Aber großzügig ist er. Das muss man
ihm lassen.«
    Merthin sah sie
streng an. »Und woher kommt sein Geld?« »Pferde«, sagte sie. »Er zieht über die
Dörfer, kauft den Bauern Fohlen ab und verkauft sie in der Stadt.«
Wahrscheinlich stiehlt er auch unvorsichtigen Reisenden die Reittiere, dachte
Merthin mürrisch. »Macht er das gerade — Pferde einkaufen?« Evan meinte: »Das
könnte gut hinkommen. Bald ist die Zeit der großen Märkte. Er könnte seinen
Bestand aufstocken.« »Und vielleicht ist Lolla mit ihm gegangen.« »Ich möchte
nicht Euren Anstoß erregen, Ratsältester, aber das ist gut denkbar.« »Ich
verstehe«, erwiderte Merthin. Er nickte knapp zum Abschied und verließ das
Wirtshaus. Caris folgte ihm.
    »So ist das also«,
sagte er ärgerlich. »Sie ist mit Jake auf und davon. Sie hält es wahrscheinlich
für ein großes Abenteuer.«
    »Ich fürchte, du
hast recht«, sagte Caris. »Ich hoffe, sie wird nicht schwanger.«
    »Ich wünschte, das
wäre meine größte Angst.« Ohne nachzudenken schlugen sie den Heimweg ein. Auf
der Brücke blieb Merthin am höchsten Punkt stehen und blickte über die
Hausdächer der Vorstadt auf den Wald, der dahinter lag. Irgendwo dort zog sein
kleines Mädchen mit einem zwielichtigen Rosstäuscher umher. Sie schwebte in
Gefahr, und er konnte nichts tun, um sie zu schützen.
     
    Als Merthin am nächsten
Morgen zur Kathedrale ging, um nach dem neuen Turm zu sehen, sah er, dass alle
Arbeit ruhte. »Befehl des Priors«, sagte Bruder Thomas, als Merthin ihn
befragte. Thomas war nun beinahe sechzig, und sein Alter zeigte sich. Sein
Soldatenleib war gebeugt, und er schlurfte unsicher über das Gelände. »Im südlichen
Seitenschiff gab es einen Einsturz«, fügte er hinzu.
    Merthin sah
Bartelmy French an, einen knorrigen alten Steinmetz aus der Normandie, der vor
der Modellkammer saß und einen Meißel schärfte. Bartelmy schüttelte still
verneinend den Kopf.
    »Der Einsturz ist
vierundzwanzig Jahre her, Bruder Thomas«, sagte Merthin.
    »Achja, Ihr habt
ganz recht«, sagte Thomas. »Mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut wie früher,
wisst Ihr.«
    Merthin klopfte ihm
auf die Schulter. »Wir werden alle älter.« Bartelmy sagte: »Der Prior ist auf
dem Turm, falls Ihr ihn sprechen wollt.« Das wollte Merthin allerdings. Er ging
zum nördlichen Querschiff, trat durch einen kleinen Torbogen und stieg die
schmale Wendeltreppe innerhalb der Mauer hoch. Als er von der alten Vierung in
den neuen Turm kam, änderte sich die Farbe der Steine vom Dunkelgrau der
Gewitterwolken zum hellen Perlgrau des Morgenhimmels. Es war ein langer
Aufstieg: Der Turm war schon über dreihundert Fuß hoch. Merthin war daran
gewöhnt. Elf Jahre lang hatte er beinahe jeden Tag eine Treppe erstiegen, die
mit jedem Mal höher wurde. Ihm kam der Gedanke, dass Philemon, der heutzutage
ziemlich dick war, einen sehr dringenden Grund gehabt haben müsse, seine Masse
die vielen Stufen hinauf zu schleppen.
    Fast oben
angelangt, durchquerte Merthin eine Kammer, die das große Rad beherbergte,
einen doppelt mannshohen, hölzernen Windenmechanismus, der benutzt wurde, um
Steine, Mörtel und Bauholz dorthin zu befördern, wo sie gebraucht wurden. Wenn
der Turm fertiggestellt war, würde das Rad hier bleiben, um von zukünftigen
Baumeistergenerationen zu Reparaturarbeiten benutzt zu werden, bis die Posaunen
zum Jüngsten Gericht bliesen.
    Merthin trat an der
Oberseite des Turmes heraus. Ein heftiger, kalter Wind blies, von dem am Boden
nichts zu merken war. Ein Weg aus bleiernen Dachplatten führte an der
Innenseite des Turmdaches herum. Ein Gerüst umgab ein achteckiges Loch und
erwartete die Maurer, die die Turmspitze bauen würden. Behauene Natursteine
waren in der Nähe aufgestapelt, und auf einem Holzbrett trocknete sinnlos ein
Haufen Mörtel.
    Arbeiter waren
nicht zu sehen. Auf der anderen Seite des Daches stand Prior Philemon mit
Harold Mason. Sie waren ins Gespräch vertieft, hielten aber schuldbewusst inne,
als Merthin in Sicht kam.
    Er musste gegen den
Wind brüllen, damit man ihn hörte. »Warum habt Ihr die Arbeit angehalten?«
    Philemon hatte sich
eine Antwort zurechtgelegt. »Es gibt ein Problem mit Eurer Konstruktion.«
    Merthin sah Harold
an. »Ihr meint, es gibt Leute, die sie nicht begreifen.« »Erfahrene

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