Die Tore der Welt
sie.
»Du stellst dich
doch nicht etwa auf ihre Seite?«, fragte er mit einem Anklang von Gereiztheit.
Sie lächelte und
berührte ihn am Arm. »Ich bin immer auf deiner Seite«, antwortete sie. »Ich
erinnere mich aber noch, wie ich mich als Sechzehnjährige gefühlt habe. Lolla
macht sich über ihre Beziehung zu Jake genauso viele Sorgen wie du. Aber sie
gibt es nicht zu, nicht einmal vor sich selbst, weil das ihren Stolz verletzen
würde. Deshalb verübelt sie dir, dass du die Wahrheit aussprichst. Sie hat
einen zerbrechlichen Schutzwall um ihre Selbstachtung errichtet, und du reißt
ihn einfach ein.«
»Was sollte ich
tun?«
»Hilf ihr, einen
besseren Wall zu bauen.« »Ich weiß nicht, was du damit meinst.« »Du wirst es
schon herausfinden.«
»Ich gehe lieber
und spreche mit Sir Gregory.« Merthin erhob sich.
Caris legte die
Arme um ihn und küsste ihn auf die Lippen. »Du bist ein guter Mann und tust
dein Bestes, und ich liebe dich von ganzem Herzen«, sagte sie.
Damit nahm sie
seinem Verdruss die Schärfe, und er fühlte sich ruhiger, während er über die
Brücke marschierte und der Hauptstraße zur Priorei folgte. Er mochte Sir
Gregory nicht. Der Advokat war verschlagen und prinzipienlos, bereit, für
seinen Herrn, den König, alles zu tun, ganz wie Philemon, während er Godwyn als
Subprior diente. Merthin fragte sich voll Unbehagen, was Gregory mit ihm zu besprechen
hatte. Vermutlich ging es um Steuern — sie waren stets des Königs größte Sorge.
Merthin ging als
Erstes zum Priorspalast, wo Philemon ihm mit selbstzufriedenem Gesicht
ausrichtete, Sir Gregory sei im Kreuzgang zu finden. Merthin fragte sich, was der
Advokat für das Vorrecht geleistet hatte, seine Audienz dort abhalten zu
dürfen.
Sir Gregory wurde
alt. Sein Haar war weiß, seine hohe Gestalt gebeugt. Tiefe Linien hatten sich
zu beiden Seiten der hochmütigen Nase eingeschnitten wie Halteklammern, und
eines seiner blauen Augen war wolkig. Doch das andere Auge blickte scharf
genug, und er erkannte Merthin sofort, obwohl sie einander zehn Jahre lang
nicht gesehen hatten. »Ratsältester«, sagte er. »Der Erzbischof von Monmouth
ist tot.«
»Er ruhe in Frieden«,
sagte Merthin automatisch.
»Amen. Der König
bat mich, da ich die Stadt von Kingsbridge durchquere, Euch seinen Gruß zu
entrichten und diese wichtige Botschaft zu überbringen.«
»Ich danke dafür.
Der Tod des Erzbischofs kommt nicht unerwartet. Er war ein kranker Mann.« Der
König, überlegte Merthin misstrauisch, hatte Gregory mit Sicherheit nicht
persönlich gebeten, ihn aufzusuchen, um ihn auf dem Laufenden zu halten.
»Ihr seid ein
beeindruckender Mann, wenn ich das sagen darf«, fuhr Gregory weit ausholend fort.
»Eure Frau habe ich vor mehr als zwanzig Jahren kennengelernt. Seither konnte
ich beobachten, wie sie und Ihr langsam, aber sicher die Herrschaft über die
Stadt an Euch brachtet. Und Ihr habt alles bekommen, woran Ihr Euer Herzblut
setztet: die Brücke, das Hospital, das Stadtrecht, einander. Ihr seid
entschlossen, und Ihr seid geduldig.«
So herablassend
seine Schmeicheleien waren, zu seinem Erstaunen entdeckte Merthin darin einen
Hauch von Respekt. Er ermahnte sich, misstrauisch zu bleiben: Männer wie
Gregory lobten nur, wenn sie sich etwas davon versprachen.
»Ich bin unterwegs
zum Mönchskloster von Abergavenny, das über den neuen Erzbischof abstimmen
muss.« Gregory lehnte sich zurück. »Als das Christentum vor Hunderten von
Jahren nach England kam, wählten die Mönche alle ihre Oberen selbst.« Weitschweifige
Erklärungen waren die Gewohnheit eines alten Mannes, überlegte Merthin; der
junge Gregory hätte sich diese Mühe nicht gemacht. »Heutzutage sind Bischöfe
und Erzbischöfe natürlich zu wichtig und zu mächtig, um von kleinen Zirkeln
weitabgewandter frommer Idealisten ausgesucht zu werden. Der König trifft die
Wahl, und Seine Heiligkeit der Papst ratifiziert die königliche Entscheidung.«
Selbst ich weiß,
dass es ganz so einfach nicht ist, dachte Merthin. Gewöhnlich kommt es zu einem
Machtkampf. Aber er entgegnete nichts.
Gregory fuhr fort:
»Wie auch immer, das Ritual, mit dem die Mönche wählen, wird weiterhin
ausgeführt, und es ist leichter, die Abstimmung in die richtigen Bahnen zu
lenken, als es abzuschaffen. Daher meine Reise.«
»Ihr werdet also
den Mönchen sagen, wen sie wählen sollen«, erwiderte Merthin.
»Unverblümt
ausgedrückt, ja.«
»Und
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