Die Tore der Welt
Euch meinen Körper, aber Ihr gabt meinem Mann
nicht sein Land.« Sie gestattete der Verachtung, die sie empfand, ihre Stimme
zu färben. »Ihr würdet das Gleiche wieder tun. Euer Ehrenwort ist wertlos. Ihr
erinnert mich an meinen Vater.«
Ralph errötete.
Einem Grafen zu sagen, dass man ihm nicht vertrauen könne, war eine
Beleidigung, aber eine noch größere Schmähung bedeutete es, mit einem landlosen
Knecht verglichen zu werden, der in den Wäldern Eichhörnchen fing. Ärgerlich fragte
er: »Hältst du das für den richtigen Weg, mich zu überzeugen?«
»Nein. Aber Ihr
werdet um diese Gnade bitten.« »Warum sollte ich?«
»Weil Sam Euer Sohn
ist.«
Ralph starrte sie
an. »Pah!«, rief er. »Als ob ich das glauben würde.« »Er ist Euer Sohn«,
wiederholte sie. »Das kannst du nicht beweisen.«
»Nein, das kann ich
nicht«, gab Gwenda zu, »aber Ihr wisst, dass ich mit Euch im Bell zu
Kingsbridge lag, neun Monate, ehe Sam geboren wurde. Gewiss, ich habe auch mit
Wulfric gelegen. Wer von euch ist also der Vater? Seht Euch den Jungen an! Er
hat einige Gewohnheiten Wulfrics angenommen, das stimmt — im Lauf von
zweiundzwanzig Jahren war das nicht zu vermeiden. Aber betrachtet sein Gesicht.«
Sie bemerkte, wie
ein nachdenklicher Ausdruck auf Ralphs Gesicht trat, und wusste, dass einige
ihrer Worte ins Schwarze getroffen hatten.
»Vor allem aber
führt Euch seinen Charakter vor Augen«, setzte sie nach. »Ihr habt die Aussagen
beim Prozess gehört. Sam hat Jonno nicht nur abgewehrt, wie Wulfric es getan
hätte. Er hat ihn nicht niedergeschlagen und ihm dann wieder aufgeholfen, wie
Wulfric sich verhalten hätte. Wulfric ist stark und leicht zu reizen, aber er
hat ein weiches Herz. Sam nicht. Sam hat Jonno mit dem Spaten getroffen, dass
jeder Mann besinnungslos geworden wäre; dann, noch ehe Jonno hinfiel, hat Sam
wieder zugeschlagen, noch härter, obwohl Jonno schon hilflos war; und dann, ehe
Jonno schlaff am Boden zusammenbrach, ein drittes Mal. Wenn die Bauern von Oldchurch
sich nicht auf Sam gestürzt und ihn festgehalten hätten, hätte er Jonno mit dem
verdammten Spaten den Kopf zu blutigem Brei gehauen. Er wollte Jonno
umbringen!« Sie bemerkte, dass sie weinte, und wischte sich die Tränen mit dem
Ärmel ab.
Ralph starrte sie
mit einem Blick an, den man nur entsetzt nennen konnte.
»Woher soll dieser
Drang zum Töten kommen, Ralph?«, fragte Gwenda. »Seht in Euer schwarzes Herz.
Sam ist Euer Sohn. Und, Gott vergib mir, der meine.«
Nachdem Gwenda
gegangen war, setzte sich Ralph auf das Bett in der kleinen Kammer und starrte
in eine Kerzenflamme. War es möglich? Gwenda würde natürlich lügen, wenn es ihr
zupass käme; auf ihr Wort zu vertrauen stand außer Frage. Trotzdem konnte Sam
genauso sehr wie Wulfrics Sohn der Spross seiner Lenden sein. Es war richtig,
zur fraglichen Zeit hatten sie beide bei Gwenda gelegen. Die Wahrheit kam vielleicht
niemals sicher ans Licht.
Allein die
Möglichkeit, dass Sam sein Kind sein konnte, erfüllte Ralphs Herz mit
Entsetzen. Ließ er seinen eigenen Sohn henken? Die schreckliche Strafe, die er
Wulfric zugedacht hatte, konnte nun ihn selbst treffen.
Es war schon Nacht.
Die Hinrichtung würde am Morgen stattfinden. Ralph blieb nicht viel Zeit für
eine Entscheidung.
Er nahm die Kerze
und verließ die Kammer. Er hatte beabsichtigt, hier seine fleischliche Lust zu
stillen. Stattdessen war ihm der Schreck seines Lebens bereitet worden.
Er ging hinaus und
überquerte den Hof zum Verlies. Im Erdgeschoss des Gebäudes waren Stuben für
die Leute des Sheriffs. Ralph ging hinein und sprach mit dem Wachhabenden. »Ich
will den Mörder sehen, Sam Wigleigh.«
» Sehr wohl,
Mylord«, sagte der Wärter. »Ich zeige Euch den Weg.« Er nahm eine Lampe und
führte Ralph in den Nebenraum.
In den Boden war
ein Gitter eingelassen, und in der Luft hing ein übler Geruch. Ralph blickte
durch die Gitterstäbe. Die Zelle war neun oder zehn Fuß tief, hatte Steinwände
und einen Boden aus gestampfter Erde. Sie war völlig kahl: Sam saß mit dem
Rücken an der Wand auf dem Boden. Neben ihm stand ein Holzkrug, der wohl Wasser
enthielt. Ein kleines Loch im Boden schien der Abort zu sein. Sam sah hoch,
dann wandte er gleichgültig den Blick ab.
»Öffnen«, sagte
Ralph.
Der Wärter schloss
das Gitter mit einem Schlüssel auf und schwang es an einer Angel hoch. »Ich
will hinunter.«
Der Wärter war
erstaunt, wagte es
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