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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erkennen, wenn
sie den Leichnam sieht, aber sie wird auf die Täuschung eingehen; denn hält man
mich für tot, bedeute ich keine Gefahr mehr für sie, und kein Rebell oder
Rivale im Kampfe um den Thron kann in Anspruch nehmen, ich unterstützte ihn.
     
    Merthin konnte es nicht fassen. Das ganze
Land hielt Edward II. für tot. Ganz Europa war getäuscht worden. Doch was war
dann aus ihm geworden?
     
    Ich werde Dir nicht sagen, wohin ich gehe,
aber wisse, dass ich beabsichtige, mein englisches Königreich auf immer zu verlassen
und nie zurückzukehren. Dennoch bete ich, dass ich Dich, meinen Sohn,
wiedersehe, ehe ich sterbe.
     
    Warum hatte Thomas diesen Brief vergraben,
statt ihn abzuliefern? Weil er um sein eigenes Leben gefürchtet und den Brief
als mächtige Schutzwaffe betrachtet hatte. Nachdem Königin Isabella einmal auf
die Täuschung, ihr Mann wäre tot, eingegangen war, musste sie die wenigen ihrer
Gegner, die die Wahrheit kannten, beseitigen. Merthin fiel nun ein, dass der
Graf von Kent des Hochverrats überführt und enthauptet worden war, weil er
verkündet hatte, Edward II. sei noch am Leben; Merthin war damals noch ein
halber Junge gewesen.
    Königin Isabella
hatte Männer ausgesandt, die Thomas töten sollten, und kurz vor Kingsbridge
hatten sie ihn eingeholt. Thomas jedoch hatte sich — mit der Hilfe des
zehnjährigen Ralph — ihrer entledigen können. Danach musste Thomas gedroht
haben, die gesamte Täuschung zu offenbaren — und er besaß in Form des Briefes
von der Hand des alten Königs den untrüglichen Beweis. An diesem Abend hatte
Thomas, während er verwundet im Hospital der Priorei zu Kingsbridge lag, mit
der Königin verhandelt, oder genauer mit Graf Roland und seinen Söhnen als
ihren Vertretern. Er hatte gelobt, das Geheimnis zu wahren, wenn er dafür als
Mönch in das Kloster eintreten dürfte. Hinter den Mauern der Klausur konnte er
sich sicher fühlen — und für den Fall, dass die Königin ihrem Versprechen
untreu zu werden gedachte, hatte er klargestellt, dass der Brief sich an einem
sicheren Ort befinde und bei seinem Tod an die Öffentlichkeit kommen werde. Die
Königin musste sich daher bemühen, ihn am Leben zu erhalten.
    Der alte Prior
Anthony hatte einiges davon gewusst und es, als er mit dem Tode rang, Mutter
Cecilia mitgeteilt, die auf ihrem eigenen Sterbebett einen Teil der Geschichte
vor Caris wiederholt hatte. Die Menschen konnten Geheimnisse jahrzehntelang
bewahren, überlegte Merthin, aber wenn der Tod nahte, fühlten sie sich
getrieben, die Wahrheit mitzuteilen. Caris hatte ferner ein belastendes Dokument
gesehen, mit dem Lynn Grange der Priorei unter der Bedingung gestiftet wurde,
dass sie Thomas als Mönch aufnahm. Nun begriff Merthin, wieso die Nachfragen,
die Caris wegen dieses Dokuments angestellt hatte, so viele Schwierigkeiten
hervorgerufen hatten. Sir Gregory Longfellow hatte Ralph verleitet, in die
Priorei einzubrechen und sämtliche Urkunden zu entwenden, weil er hoffte,
darunter den belastenden Brief zu finden.
    Hatte die
Vernichtungskraft dieses Pergamentblattes durch das Verstreichen der Zeit
nachgelassen? Isabella war vor drei Jahren in hohem Alter verstorben. Edward
II. War fast mit Sicherheit tot — lebte er noch, musste er nun siebenundsiebzig
sein. Würde Edward III. die Offenbarung fürchten, dass sein Vater gelebt hatte,
während die Welt ihn für tot hielt? Er war nun ein zu starker König, um ernsthaft
bedroht zu werden, doch er müsste sich großer Peinlichkeit und Demütigung
stellen.
    Was also sollte
Merthin tun?
    Er blieb, wo er
war, auf dem grasigen Waldboden zwischen den Wildblumen, lange stehen. Am Ende
rollte er das Pergament zusammen, steckte es wieder in die Wolltasche und schob
sie in den alten Lederbeutel zurück.
    Ihn legte er wieder
in das Loch im Boden und füllte es auf. Ebenso schaufelte er seine erste, an
falscher Stelle ausgehobene Grube wieder zu. Bei beiden strich er die
Oberfläche glatt, dann zupfte er Blätter von den Büschen und verstreute sie vor
der Eiche. Er trat zurück und betrachtete sein Werk. Er war zufrieden: Einem
beiläufigen Blick konnten die Grabungsstellen nicht mehr auffallen.
    Schließlich wandte
er der Lichtung den Rücken zu und ging nach Hause.
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KAPITEL 90
    Gegen Ende August
machte Graf Ralph eine Rundreise durch seine Ländereien rings um Shiring,
begleitet von seinem langjährigen Gefährten Sir Alan Fernhill und seinem jüngst

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