Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
zuckte mit
den Schultern. »Die Leute glauben, was sie glauben wollen.«
    »Gewöhnliche Leute
vielleicht, aber der Bischof und der Prior sollten es besser wissen. Sie sind
gebildet.«
    Doch Merthin schien
ihr gar nicht zuzuhören. »Ich muss dir etwas erzählen«, sagte er.
    Caris merkte auf.
Vielleicht würde sie nun endlich den Grund für Merthins schlechte Laune
erfahren. Bis jetzt hatte sie ihn von der Seite her angeschaut; nun drehte sie
sich zu ihm um und sah, dass er einen großen blauen Fleck auf der linken
Gesichtshälfte hatte.
    »Was ist denn mit
dir passiert?«
    Die Menge grölte
vor Lachen ob eines Einwurfs von Neil, und Erzdiakon Lloyd musste wiederholt
nach Ruhe rufen. Als Merthin sich wieder Gehör verschaffen konnte, sagte er:
»Nicht hier. Können wir an einen ruhigeren Ort gehen?«
    Caris wollte gerade
mit ihm gehen, doch irgendetwas hielt sie davon ab. Die ganze Woche hatte
Merthins Kälte sie verwirrt und verletzt. Endlich war er bereit, ihr zu sagen, was
ihn bedrückte … und nun erwartete er wie selbstverständlich von ihr, dass sie
auf sein Wort hin sprang. Warum sollte Merthin den Zeitpunkt bestimmen? Er
hatte sie fünf Tage warten lassen. Warum sollte er sich dann nicht ein, zwei
Stunden in Geduld üben? »Nein«, sagte sie.
    »Nicht jetzt.«
    Er schaute sie
überrascht an. »Warum nicht?« »Weil es mir jetzt nicht passt«, antwortete sie.
»Und nun lass mich zuhören.« Als sie sich von ihm abwandte, sah sie einen
verletzten Ausdruck auf seinem Gesicht, und sofort wünschte sie sich, ihn nicht
so kalt abgefertigt zu haben; doch es war zu spät, und sie würde sich nicht entschuldigen.
    Die Zeugen hatten
derweil ihre Aussagen beendet. Nun sagte Bischof Richard: »Weib, behauptest du,
dass der Teufel über die Erde herrscht?«
    Caris war außer
sich. Ketzer beteten den Satan an, weil sie glaubten, er habe die Herrschaft
über die Erde, während Gott nur im Himmel regiere. Die verrückte Neil aber
konnte ein solch gelehrtes Credo nicht einmal verstehen! Es war schändlich,
dass Richard sich Friar Murdos lächerlicher Anklage anschloss.
    Neil rief zurück:
»Du kannst dir deinen Schwanz in deinen Arsch stecken!« Die Menge lachte. Eine
derart grobe Beleidigung des Bischofs machte den Leuten einen Heidenspaß.
    Richard sagte:
»Wenn das ihre Verteidigung ist… « Erzdiakon Lloyd mischte sich ein. »Jemand
sollte für sie sprechen«, sagte er. Er sprach in respektvollem Tonfall, doch
schien es ihm nichts auszumachen, seinen Herrn zu korrigieren. Zweifellos
verließ der faule Richard sich darauf, dass Lloyd ihn an die Regeln erinnerte.
    Richard ließ den
Blick über die Menge schweifen. »Wer wird für Neil sprechen?«, rief er.
    Caris wartete, doch
niemand meldete sich. Das konnte sie nicht zulassen. Irgend jemand musste
klarstellen, wie unvernünftig das Ganze war. Caris stand auf. »Neil ist
verrückt«, sagte sie.
    Alle drehten sich
um und fragten sich, wer töricht genug war, sich auf Neils Seite zu stellen. Ein
Raunen des Erkennens ging durch die Menge — die meisten Leute kannten Caris —,
doch niemand zeigte sich überrascht, denn sie stand in dem Ruf, das Unerwartete
zu tun.
    Prior Anthony
beugte sich vor und flüsterte dem Bischof etwas ins Ohr. Richard sagte: »Caris,
die Tochter von Edmund Wooler, sagt uns, dass die Angeklagte verrückt sei. Zu
diesem Schluss sind wir auch schon ohne ihre Hilfe gekommen.«
    Caris ließ sich von
seinem kühlen Sarkasmus provozieren. »Neil weiß nicht, was sie sagt! Sie ruft
den Teufel an, die Heiligen, den Mond und die Sterne. Das hat genauso wenig
Bedeutung wie das Bellen eines Hundes. Ihr könntet ebenso gut ein Pferd hängen,
weil es den König angewiehert hat.« Sie konnte sich einen spöttischen Unterton
nicht verkneifen, obwohl sie wusste, wie dumm es war, seine Verachtung zu
zeigen, wenn man es mit Edelleuten zu tun hatte.
    Ein Teil der
Zuschauer murmelte zustimmend. Sie mochten eine geistreiche Diskussion.
    Richard sagte:
»Aber Ihr habt die Leute gehört, die bezeugt haben, welche Schäden die Flüche
dieser Frau zu bewirken vermögen.«
    »Ich habe gestern
einen Penny verloren«, erwiderte Caris. »Ich habe ein Ei gekocht, und es war
schlecht. Mein Vater hat die ganze Nacht gehustet. Aber niemand hat uns
verflucht. Schlimme Dinge passieren nun einmal.«
    Diese Äußerung
brachte Caris viel Kopfschütteln ein. Die meisten Menschen glaubten, dass hinter
jedem Unglück, sei es nun

Weitere Kostenlose Bücher